Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Schwestern der Angst - Roman

Schwestern der Angst - Roman

Titel: Schwestern der Angst - Roman
Autoren: Haymon
Vom Netzwerk:
verdrehen. Diesen Schädel hätte man doch längst abreißen müssen.
    Die Hand, die nicht länger unberingt bleiben sollte, rutschte über die Bettkante. Mir würde dieses Luder keinen Laufpass mehr geben, ich würde ihr die Hand nämlich abschneiden, dachte ich. Bevor sie aufwachen, kreischen oder sonst einen Widerspruch ausstoßen könnte, holte ich die Socken von der Wäschespinne, um sie ihr ins Maul stopfen zu können. Diese Geste würde sie persönlich nehmen.
    Marie war größer als ich, wendiger und selbstsicherer. Ein Hieb und ich wäre geliefert. Ich legte die Fingerspitzen ans Kinn und positionierte meine Handkante so, dass sie auf ihren Mund zugerichtet war, um ihre Gemeinheit mit einem gezielten Schlag abschmettern zu können. Mir wurde immer heißer, Wut breitete sich aus in meinem Verlangen nach Freundschaft, Treue, Liebe, Dankbarkeit. Marie hatte mich nicht zu ihrer Hochzeit eingeladen, das hatte sie nun davon. Wahre Liebe war keine Freiheitsberaubung. Meine Wegweisung war eine Verschwörung.
    „Na dann“, sagte ich mir, mich mütterlich zurücklehnend und Marie anlächelnd, die Hände reibend, „dann wollen wir mal zur Tat schreiten.“ Bestenfalls handelte es sich hier um kapitalistisches Begehren, je nach Kräfteverhältnis und Opportunität, dagegen war die wahre Liebe wahrlich verrückt. Gegen die Gesetze des Fortkommens, gegen die Gesetze des Fortpflanzens verstieß diese wahre Liebe und gegen jede Form der Arterhaltung, was doch auf die Möglichkeit eines richtigen Lebens im falschen hinwies, eines warmen Lebens in der Eiseskälte menschlicher Beziehung. Vorausgesetzt, man setzte nicht die Liebe als Kampfmittel gegen das falsche Leben ein.
    Ich ließ Marie nicht aus den Augen, verfolgte jede Regung mit größter Aufmerksamkeit. Ich summte den Hochzeitsmarsch, als ihre Lider zuckten. Sie schlug sie auf.
    Ich war gefasst auf ihre Reaktion und schneller als Marie. Ich fesselte sie mit der Wäscheleine, stopfte ihr die Socke in den Mund, schleuderte sie in die Kissen auf dem Diwan. Natürlich bäumte sie sich auf, da führte kein Weg dran vorbei. Ich streichelte sie zärtlich und ausgiebig. Marie weinte und muckste herum.
    Als ich eine Pause machte, vernahm ich ein Rauschen und Rattern in den Ohren, als würde ein Karren abtransportiert. Als würden wir Mutter auf ihrer letzten Reise verabschieden. Ich küsste Marie heftig, doch nur auf die Wangen, sie warf den Schädel hin und her. Ich beherrschte mich, sie nicht an der Wange zu verletzen, das Messer zu zücken und ihr Gesicht zu zerritzen. Mein Blick umschmeichelte sie. Ihr aufschießendes Blut färbte und erwärmte die Wangen. Mein Gesicht wusch ich in ihrem Blut. Ich befahl ihr, die Lider zusammenzukneifen. Meine Phantasien jagten mich. Heiratsanträge. Kapellen. Hochzeitstorten. Ich wünschte mir ein Häuschen, wo wir abends friedlich miteinander reden könnten, ich mit Paul als meinem Mann und Marie als unserem Kind. Marie schloss die Augen nicht. Ich schlug ihr mit der flachen Hand ins Gesicht, dann gehorchte sie.
    „Warum hast du mich verlassen“, brüllte ich mit einer mir fremden Stimme. „Früher hat bei dir mehrmals täglich das Telefon geläutet. ‚Hallo‘, hast du gehaucht. Ich habe dich nur gefragt, wie es dir geht, und schon hast du die Verbindung mit einem Klick unterbrochen. Ich habe wieder deine Nummer gewählt, aber du warst bald ganz weg. Ich hätte dir die Möglichkeit gegeben, mich nicht das Gesicht verlieren zu lassen, indem du mich gefragt hättest, wie es mir geht, und mich ein bisschen geliebt, und mich nicht an diesen Satyr verraten. Du hättest erraten können, wer da in der Nähe spukt, unerlöst und auf ewiger Suche nach dir. Und hier bin ich. Ich habe einen Kondensstreifen am Himmel gefunden, der mich zu dir geleitet hat. Nachts bin ich um dein Haus herumgeschlichen und bin bis ins Schlafzimmer eingedrungen. Ich habe mich euch Schlafenden auf die Brust gesetzt. Wie frisches Austernfleisch unter den Tropfen ätzenden Zitronensaftes, so habt ihr gebebt unter mir. Ich hätte euch beide ersticken können, hätte euch Mund und Nasenlöcher zukleben können. Dafür, dass du mit meinem Schänder ins Bett steigst. Aber Erziehung ist besser als Mord. Ich hatte eine Erscheinung in jener Nacht: Über dem Hausgiebel ragten die Bergspitzen und auf diesen die Fichtenwipfel in den blauen Himmel über der Heimat, und ich habe ein altes Weiblein im Garten stehen gesehen, das seine knorrige Hand an die Rosenköpfe gelegt hat.
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher