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Schwestern der Angst - Roman

Schwestern der Angst - Roman

Titel: Schwestern der Angst - Roman
Autoren: Haymon
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hob die Schultern und ließ sie ratlos fallen, wie um mir zu sagen, dass seine Tochter leider verrückt sei und man nichts dagegen machen könne. Er lächelte milde und nachsichtig, als sie angab, sie selbst wohne im schlechtesten Zimmer, denn sie sei der Ausbund des Teufels. Sie zeigte dabei auf die Tür mit der Aufschrift „privée“. Dann beugte sie sich über die Theke zu mir herüber und deutete mir, näherzukommen. Sie vertraute mir an: „In den Zimmern mit Ausblick auf Notre-Dame fließt Weihwasser aus den Wasserleitungen.“
    Ich schwieg. Sie klimperte mit dem Schlüssel. Ich folgte ihr und wollte mich für ein paar Stündchen hinlegen. Das Zimmer lag am Ende des Ganges. Ein tropfenförmiges Lämpchen blinkte rot. Ich schritt durch den Gang. Ich blieb vor der Tür 66 stehen und sperrte sie auf, stieß die Tür auf und betrat das winzige Mansardenzimmer. Es war in einem ärmlichen Zustand. Der Boden war mit Plastikbelag beklebt. Die Wand hinter dem Waschbecken war mit Plastikfliesen tapeziert. Die Tischplatte zeigte dasselbe rostrote Plastikkachelmuster. Das Waschbecken war weiß und mit dunkelblauem Zwiebelmuster verziert. Eine Dusche gab es nur auf dem Gang und daneben auch die Toilette. Der Boden war dort an den Rändern zerfressen. Die Toilette bestand aus einem Keramikloch, das es aus der Hocke zu treffen galt, wie in einem Gefängnis.
    Schon beim ersten Schritt klebriger Halt. Ich trat ans Fenster und schaute auf die ein paar Meter entfernte Fassade, stieß das Fenster auf und setzte mich auf das federnde Bett. Ich würde hier meine Schuhe nicht ausziehen, beschloss ich, selbst wenn man diesen Boden frisch aufgewischt hatte, könnte man die jahrelang eingewirkte Klebrigkeit des Plastiks nicht fortwischen. Im Zimmer roch es süßlich. Das ganze Hotel schien verrostet, vermodernd, zerbröselnd, und doch von einer öligen Schmierigkeit zusammengehalten. Nur die belebte Bar in der Eingangshalle war intakt. Das Hotel lag im sanften Abendlicht, die Platanen rauschten im Wind. Die verrückte Tochter des Kellners half mir mit Waschzeug aus. Das gab mir die Gelegenheit, mich zu bedanken und sie nach den Bewohnern des Ortes auszuquetschen.
    Der Schädel ist ein in sich geschlossener Raum. Die Decke fiel mir im Kopf auf den Kopf. Ich ging zum Waschbecken und drehte das Wasser auf, benetzte meine Fingerspitzen und betupfte mich mit dem Kreuzzeichen. Meine Hände wuschen einander in Unschuld.
    Als es an der Tür klopfte, schlug ich mit der flachen Hand auf die Matratze. Ich riss die Augen auf. Mein Gewicht, das mich an Schulterblättern, Hüfte, Waden und Fersen in die Matratze drückte, lastete in mir. Ich hörte wieder das regelmäßige Anklopfen. Das Fenster stand offen und ein Wind blies Kälte herein. Der Vorhang blähte sich auf. Unter gewaltiger Anstrengung überwand ich mich, setzte mich auf, horchte. Der Windhauch im Bauch des Vorhangs knisterte mit dem Stoff. Die bleichen Giebel des gegenüberliegenden Hauses, das die Tochter des Kellners als Notre-Dame bezeichnet hatte, leuchteten herein. Dann ging ich zur Tür. Niemand war draußen. Ich legte mich wieder hin und hörte wieder das Klopfen. Ich erhob mich abermals vom Bette und öffnete nun vorsichtig die Kastentür. Ein baumelnder Kleiderhaken darin. Wieso baumelte er? Wie konnte er von allein in Bewegung geraten? Ich bekam Angst und ging in die Halle. Ich wollte unter Menschen sein.
    In der Eingangshalle hüpfte ein Spatz auf dem Steinboden herum. Von draußen drang Flugzeuglärm heran. Der Kellner pfiff vor sich hin. Zwischen den raumteilenden Philodendren nun einen Cognac servierend, trat er an meinen Tisch und musterte mich, als ich ihm auf Französisch antwortete, dass ich nicht Französisch spreche. Er fühlte sich auf den Arm genommen. Woher ich denn komme, fragte er. Ich antwortete wahrheitsgemäß: „Autriche.“
    Plötzlich wurde der Kellner streng und der schön gezeichnete, gut durchblutete Mund fiel ein wie Laub. Er fragte, ob ich hier jemanden besuche.
    Das „Non“ schoss mir zu schnell aus dem Mund. Ein Aufschrei des Entsetzens war das fast. Der Kellner legte seinen Kopf schief und musterte mich wie ein Schulmeister, der seinen besten Prüfling beim Schwindeln erwischt hatte.
    Jedes Häuschen hatte hier seinen Reiz und war von einem Heckchen umhäkelt. Ich streifte den betonierten Sockel der eingefriedeten Grundstücke entlang, kletterte über Buchsbaumzäune, beobachtete einen Mann, der in einer Baumkrone saß und einen Ast absägte.
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