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Schweigend steht der Wald: Roman (German Edition)

Schweigend steht der Wald: Roman (German Edition)

Titel: Schweigend steht der Wald: Roman (German Edition)
Autoren: Wolfram Fleischhauer
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in den Kissen.

4
    D ie Dolmetscherin hatte sichtlich Mühe mit dem Vokabular. Von Minute zu Minute wurde die Stimmung gereizter. Die Chinesen wollten diese Buchenstämme nicht haben, das war offensichtlich. Oder sie wollten sie nicht zu diesem Preis. Die Gemeinde würde die drei Polter also an einen anderen Holzhändler verkaufen müssen. Aber das war den Chinesen auch nicht recht, denn sie brauchten nun mal Buchenholz, um daraus Klavierfüße zu fertigen. Sie wollten also durchaus dieses Buchenholz von der Gemeinde kaufen, hatten sogar großes Interesse an bayerischem Buchenholz, aber irgendetwas war damit nicht in Ordnung, was die Dolmetscherin entweder selbst nicht begriff oder einfach nicht in die deutsche Sprache zu übersetzen verstand.
    »Was ist denn nun damit nicht in Ordnung?«, fragte Anjas Chef genervt. »Die Stämme sind tadellos. Keine Zwiesel, keine Chinesenbärte. Nichts dergleichen. Also was soll das? Wo ist das Problem?«
    Die Dolmetscherin bekam einen starren Gesichtsausdruck. »Chinesenbärte?«, fragte sie unsicher zurück. »Was bitte sind Chinesenbärte?«
    »Na hier«, erklärte Manfred Grossreither und deutete auf einen aussortierten Stamm auf der anderen Wegseite, der eine unschöne wulstige Stelle aufwies. »Das hier. Chinesenbart.« Unwillkürlich hatte er in den etwas gestelzten Sprachmodus gewechselt, den Deutsche Ausländern gegenüber oft benutzen, auch wenn diese der deutschen Sprache mächtig sind. Glücklicherweise hatte er nicht auch noch angefangen, die Worte besonders laut und deutlich auszusprechen, was aber bestimmt die nächste Stufe sein würde.
    Die beiden Chinesen starrten die Dolmetscherin erwartungsvoll an, die panisch nach Worten suchte. Plötzlich sprudelten einige Sätze aus ihrem Mund, und sie deutet auf den Holzwulst, wobei sie ein Wort mehrfach wiederholte, den Kopf schüttelte, erneut auf die Stelle deutete und dann gespannt wartete, wie ihre Kunden wohl reagieren würden. Die beiden Chinesen sahen sich kurz an, lächelten dünn und setzten dann zu einer längeren Gegenrede an.
    »Qualität ist nicht gut«, übersetzte die Dolmetscherin kurz und bündig, womit endgültig klar war, dass nicht in erster Linie das Holz das Problem war, sondern die Kommunikation.
    Grossreither winkte resigniert ab. Anja tat die Dolmetscherin leid. Wo hatten die beiden Chinesen die junge Frau wohl her? War sie Studentin? Sie sprach gut Deutsch. Aber Holzdeutsch war nun mal nicht Deutsch. Und Chinesen zu erklären, dass Astnarben an deutschen Buchen Chinesenbärte hießen, war sicher ein wenig heikel. Anja überlegte, was sie in einer derartigen Situation getan hätte. Vielleicht müsste man den Begriff als »Germanennase« ins Chinesische übersetzen, um die Situation zu retten? Aber die Dolmetscherin wirkte nicht sehr schlagfertig. Sie sah eher erschlagen aus und wäre wahrscheinlich am liebsten im Waldboden versunken. Hatten die Chinesen ihr denn nicht gesagt, worum es hier ging? Wahrscheinlich wollten sie nicht nur den Holzpreis drücken, sondern auch die Dolmetscherkosten und hatten deshalb für ein Trinkgeld diese bedauernswerte Studentin engagiert, die völlig überfordert war.
    Ein aufheulendes Motorengeräusch unterbrach die peinliche Verhandlungspause. Etwa dreißig Meter von ihrem Polter entfernt war ein Rücker damit beschäftigt, frisch gefällte Bäume aus dem Wald herauszuziehen. Eine riesige, unbemannte Planierraupe bewegte sich kettenrasselnd auf dem Waldweg hin und her und zog ein langes Stahlkabel stramm, das sich bis zu der Stelle an dem steilen Waldabhang erstreckte, wo der Rücker mit seiner Fernsteuerung stand und versuchte, einen Baumriesen, der sich im Sturz verkeilt hatte, loszubekommen. Immer wieder heulte der Motor der Raupe auf, gefolgt vom Sirren des sich spannenden Stahlseils und dem Knirschen der sich reibenden Stämme. Der Rücker fluchte. Man konnte ihn bis hierher hören. Die Raupe fuhr ein Stück zurück, drehte leicht und fraß sich ein paar Meter in den Wald hinein. Anja verzog schmerzlich das Gesicht.
    Mit einem Mal schrie Grossreither: »PAVEL! Verdammt noch mal. Lass die Raupe auf dem Weg.«
    Aber Pavel schien nichts zu hören.
    »Frau Grimm, sagen Sie diesem Idioten doch mal, er soll die verfluchte Raupe auf dem Weg lassen!« Anja rannte los. Aber der Rücker hatte die Raupe bereits wieder zurückgesetzt und wedelte jetzt entschuldigend mit der Hand. Anja blieb stehen. Dann gab es einen lauten Krach, und ein riesiger Stamm rutschte den Hang
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