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Schwarzer Schmetterling

Schwarzer Schmetterling

Titel: Schwarzer Schmetterling
Autoren: Bernard Minier
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Patenonkel?«
    »Richtig.«
    Kleim 162 sah ihn mit nicht gespielter Verblüffung an.
    »Und du bist nicht eifersüchtig?«
    Espérandieu lächelte abermals, während er zur Decke blickte. Tief erschüttert schüttelte der junge Journalist den Kopf und verschwand erneut im Bad. Espérandieu setzte wieder seine Kopfhörer auf. Die wunderbar heisere Stimme von Mark Lanegan antwortete auf das dünne Säuseln von Isobel Campbell in
The False Husband.
     
    An einem schönen Aprilmorgen holte Servaz seine Tochter bei seiner Ex-Frau ab. Er lächelte, als er sie mit ihrer Tasche auf dem Rücken und ihrer Sonnenbrille aus dem Haus treten sah.
    »Fertig?«, fragte er, als sie neben ihm saß.
    Sie fuhren auf der Autobahn in Richtung Pyrenäen; trotz allem juckte es Servaz an der Schädelbasis, als er mit hochgezogenen Brauen die Ausfahrt Montréjeau/Saint-Martin-de-Comminges nahm. Dann fuhren sie geradewegs nach Süden, ins Gebirge hinein. Das Wetter war außergewöhnlich schön. Der Himmel war blau, die Gipfel weiß. Die reine Luft, die durch den Fensterschlitz ins Wageninnere wehte, erzeugte eine Art Benommenheit wie von Äther. Der einzige Dämpfer war die Tatsache, dass Margot ihre Lieblingsmusik im Kopfhörer voll aufgedreht hatte und mitsang – aber selbst das konnte Servaz die gute Stimmung nicht verderben.
    Die Idee zu diesem Ausflug war ihm vor einer Woche gekommen, als ihn Irène Ziegler nach monatelanger Funkstille angerufen hatte, um sich nach ihm zu erkundigen. Sie fuhren durch malerische Ortschaften, die Berge rückten näher, bis sie so nahe waren, dass sie sie nicht mehr sahen; die Straße stieg jetzt steil an. In jeder Kurve hatten sie überwältigende Rundblicke über die sattgrünen Wiesen: Weiler, die sich in die Talmulden schmiegten, Flüsse, die in der Sonne funkelten, lichtdurchflutete Dunstschleier, die Schafherden umhüllten. Die Landschaft, dachte er, war völlig verwandelt. Dann erreichten sie den kleinen Parkplatz. Die Morgensonne stand noch hinter den Bergen und überstrahlte ihn noch nicht. Sie waren nicht die Ersten. Weiter hinten parkte ein Motorrad. Zwei Personen saßen auf den Felsen und erwarteten sie. Sie standen auf.
    »Guten Morgen, Martin«, sagte Ziegler.
    »Guten Morgen, Irène. Irène, das ist Margot, meine Tochter. Margot, Irène.«
    Irène drückte Margot die Hand und wandte sich um, um die hübsche Brünette vorzustellen, die sie begleitete. Zuzka Smatanova hatte einen festen Händedruck, langes, pechschwarzes Haar und ein funkelndes Lächeln. Sie wechselten kaum ein paar Worte, ehe sie sich auf den Weg machten, als hätten sie sich erst gestern getrennt. Ziegler und Martin gingen vorneweg, und Zuzka und Margot ließen sich schnell abhängen. Servaz hörte sie hinter sich lachen. Irène und er begannen zu plaudern. Der Aufstieg würde lange dauern. Der Kies knirschte unter den dicken Sohlen ihrer Schuhe, und das Plätschern des Baches stieg zu ihnen auf. Die Sonne wärmte ihnen bereits die Gesichter und Beine.
    »Ich habe noch weiter recherchiert«, sagte sie unvermittelt, als sie eine kleine Brücke aus Tannenstämmen überquerten.
    »Recherchiert worüber?«
    »Über die Viererbande«, antwortete sie.
    Er warf ihr einen skeptischen Blick zu. Er wollte diesen herrlichen Tag nicht durch aufgewühlten Schlamm verderben.
    »Und?«
    »Ich habe herausgefunden, dass Chaperon, Perrault, Grimm und Mourrenx mit fünfzehn Jahren von ihren Eltern in eine Ferienkolonie geschickt wurden. Ans Meer. Und weißt du, wie die Kolonie hieß?«
    »Wie?«
    »Colonie des Sternes.«
    »Seeschwalben. Na und?«
    »Erinnerst du dich an die Buchstaben auf dem Ring?«
    »CS.« Servaz blieb unvermittelt stehen.
    »Ja.«
    »Meinst du …? Dass sie dort angefangen haben …?«
    »Möglich.«
    Das Morgenlicht spielte durch die Blätter eines Espenwäldchens, das am Wegrand im leichten Wind sanft rauschte.
    »Mit fünfzehn … Das Alter, in dem man entdeckt, wer man wirklich ist … das Alter der Freundschaften fürs Leben … auch das Alter, in dem die Sexualität erwacht«, sagte Servaz.
    »Und das Alter der ersten Verbrechen«, ergänzte Ziegler und sah ihm in die Augen.
    »Ja, das könnte es sein.«
    »Oder etwas anderes«, sagte Ziegler.
    »Oder etwas anderes.«
    »Was ist los?«, stieß Margot hervor, als sie zu ihnen aufgeschlossen hatten. »Weshalb bleiben wir stehen?«
    Zuzka warf ihnen einen durchdringenden Blick zu.
    »Schaltet ab«, sagte sie. »Verdammt, schaltet ab!«
    Servaz sah sich um. Es war
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