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Schwarzer Schmetterling

Schwarzer Schmetterling

Titel: Schwarzer Schmetterling
Autoren: Bernard Minier
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um es aufzuheben. Als sie sich wieder aufrichtete, zog sie ihn an sich, eine Hand in seinem Nacken, und küsste ihn auf den Mund. Servaz spürte augenblicklich, wie ihm heiß wurde. Was geschähe, wenn plötzlich jemand kam? Gleichzeitig spürte er, wie das Verlangen in ihm erwachte, trotz des runden Bauchs, der sie trennte. Nicht zum ersten Mal küsste ihn eine schwangere Frau – aber zum ersten Mal küsste ihn eine Schwangere, die nicht er geschwängert hatte.
    »Charlène, ich …«
    »Pscht! … Sei still. Hast du gut geschlafen?«
    »Sehr gut. Ich … bekomme ich einen Kaffee?«
    Sie streichelte ihm zärtlich die Wange und ging zur Maschine.
    »Charlène …«
    »Sag nichts, Martin. Nicht jetzt. Wir reden später darüber: Es ist Weihnachten.«
    Er nahm die Tasse Kaffee, trank sie aus, geistesabwesend, mit leerem Kopf. Die Zunge klebte ihm am Gaumen. Er bereute plötzlich, dass er sich noch nicht die Zähne geputzt hatte. Als er sich umdrehte, war sie verschwunden. Servaz lehnte sich mit den Schenkeln gegen die Arbeitsfläche, und es schien ihm, als würden ihm Termiten den Magen zerfressen. Auch in seinen Knochen und seinen Muskeln spürte er noch die Nachwirkungen seiner Expedition ins Gebirge. Das war das seltsamste Weihnachtsfest, das er je erlebt hatte. Und auch das erschreckendste. Er konnte nicht vergessen, dass Hirtmann irgendwo da draußen war. Hatte der Schweizer die Region verlassen? War er Tausende von Kilometern weit weg? Oder trieb er sich noch in der Gegend herum? Servaz dachte pausenlos an ihn. Und an Lombard: Man hatte seine gefrorene Leiche zu guter Letzt geborgen. Servaz erschauerte jedes Mal, wenn er daran dachte. Eine schreckliche Art zu sterben …
die beinahe auch ihn getroffen hätte.
    Er dachte häufig an dieses eisige, blutige Zwischenspiel, das die Ermittlungen in diesem
so unwirklichen
Fall dargestellt hatten. Obwohl er schon wieder so fern war. Servaz sagte sich, dass es in dieser Geschichte Dinge gab, die vermutlich niemals aufgeklärt würden. Wie etwa diese Initialen » CS « auf den Ringen. Wofür standen sie? Wann und bei welcher Gelegenheit hatte die unendliche Verbrechensserie der Viererbande begonnen? Und wer von ihnen war der Anstifter gewesen, der Rädelsführer? Vermutlich würden diese Fragen nie eine Antwort finden. Chaperon hüllte sich hartnäckig in Schweigen. Er wartete im Gefängnis auf sein Urteil, aber ausgepackt hatte er nicht. Dann dachte Servaz an etwas anderes. In ein paar Tagen wurde er vierzig. Er war am 31 . Dezember geboren – und nach den Worten seiner Mutter Punkt Mitternacht: Sie hatte in einem Nebenzimmer Champagnerkorken knallen gehört, als er seinen ersten Schrei ausgestoßen hatte.
    Dieser Gedanke traf ihn wie eine Ohrfeige.
Er wurde vierzig … Was hatte er aus seinem Leben gemacht?
     
    »Im Grunde hast in diesem Fall du die wichtigste Entdeckung gemacht«, erklärte Kleim 162 am zweiten Weihnachtstag kategorisch. »Nicht dein Chef, wie heißt er noch gleich?«
    Kleim 162 war angereist, um den Jahreswechsel im Südwesten Frankreichs zu verbringen. Er war am Vortag mit dem TGV Paris–Bordeaux–Toulouse in der »Rosa Stadt« eingetroffen.
    »Servaz.«
    »Kurz und gut, dein Monsieur Ich-zitiere-lateinische-Sprichwörter-um-den-Schlaumeier-zu-markieren ist vielleicht der König der Ermittler, aber du hast ihm die Schau gestohlen.«
    »Übertreib nicht. Ich hab Glück gehabt. Und Martin hat einen ausgezeichneten Job gemacht.«
    »Und wie sieht es bei deinem lebendigen Gott mit der sexuellen Vorliebe aus?«
    »Hetero zu 150  Prozent.«
    »Schade.«
    Kleim 162 warf seine Beine aus den Laken und setzte sich an die Bettkante. Er war nackt. Vincent Espérandieu nutzte die Gelegenheit, um seinen breiten, muskulösen Rücken zu bewundern, während er an seiner Zigarette zog, den angewinkelten Arm im Nacken, mit dem Rücken an die Kopfkissen gelehnt. Ein leichter Schweißfilm glänzte auf seiner Brust. Als Kleim 162 aufstand und ins Bad ging, schielte er dem Journalisten unwillkürlich auf den Hintern. Hinter den Jalousien schneite es endlich; es war der 26 . Dezember.
    »Und du bist nicht zufällig scharf auf ihn?«, rief Kleim 162 durch die offene Badezimmertür.
    »Meine Frau hat sich in ihn verliebt.«
    Der blonde Kopf tauchte in der Tür auf.
    »Wie bitte? Schlafen sie miteinander?«
    »Noch nicht«, sagte Vincent und blies den Rauch Richtung Decke.
    »Ich dachte, sie wäre schwanger? Und er wäre der zukünftige
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