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Schwarzer Purpur

Schwarzer Purpur

Titel: Schwarzer Purpur
Autoren: Susanne Wahl
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dem Heimweg fühlte ich mich fast schwerelos. Übermütig schlenderte ich durch die Einkaufspassage, bis mein Blick an einem Ständer vor der Seidenraupe hängen blieb. Dort hatte die Inhaberin alle grellbunten Modefarben des vergangenen Sommers hingehängt. Ich kaufte ein Top, ein langärmliges wadenlanges Kleid, einen Pullover mit gefährlich tiefem V-Ausschnitt und weite Schlabberhosen – alles in glühendem Rot! Dazu aus der Winterkollektion einen Kaschmir-Rollkragenpullover in dunklem Smaragd und einen in Dunkelrot, außerdem eine bunt gemusterte Alpakaweste in Blautönen und zwei Kaschmirschals in Tannengrün und Königsblau. Ich verschwendete keinen Gedanken daran, wann ich die Sachen anziehen sollte. Es genügte mir im Augenblick, diese Farbenpracht zu besitzen. Immer wieder schielte ich in die Tüten, um mich zu vergewissern, dass ich sie tatsächlich nach Hause trug.
    Im ersten Moment erschrak ich vor der Leere, die meine Schritte auf dem Parkett des Korridors ungewohnt laut klingen ließ.
    »Sie waren unheimlich schnell!« Tante Hildes rundliche Gestalt wirkte in Mutters Wintercape noch eine Spur voluminöser. »Ich hoffe, es war richtig, ihnen alles mitzugeben, was keinen roten Aufkleber hatte?« Sie sah mich fragend an und zog den grauen Stoff enger um sich. Ich nickte abwesend, in Gedanken bei meinen Neuerwerbungen.
    »Sicherheitshalber habe ich dir aber ein wenig Geschirr dabehalten.« Sie wies mit dem Kopf auf zwei Teller, einen Porzellanbecher, etwas Besteck. »Zumindest heute Abend musst du doch etwas essen. Versprich mir, dass du daran denkst!«
    »Natürlich. Mach dir bitte keine Sorgen um mich.« Ich würde mir eine Pizza kommen lassen und sie mit den Fingern aus dem Karton essen, aber das behielt ich besser für mich.
    Nervös sah Tante Hilde auf ihre Armbanduhr. »Und du bist wirklich sicher, dass ich dir nicht helfen soll, deine Pflanzen zu verpacken? Die Kartons und die Luftpolsterfolie habe ich dir auf die Terrasse stellen lassen. Sie kommen dann morgen im Laufe des Vormittags mit dem Laster. Wirst du das schaffen?«
    Ich beruhigte sie, versicherte ihr noch einmal, dass sie sich um mich keine Sorgen machen müsse, und fühlte mich erleichtert, als ich das Taxi bestellte, das sie zum Bahnhof bringen sollte. Ich gierte so sehr nach Freiheit, dass selbst Tante Hildes liebevolle Besorgtheit mir einengend erschien.
    Die Minuten, bis das Taxi vor dem Haus durch kräftiges Hupen zu verstehen gab, dass es auf seinen Fahrgast wartete, verbrachten wir in dem ungemütlichen Zustand, der Abschieden vorauszugehen pflegt. Kaum, dass wir uns herzlich verabschiedet hatten und ihr aus dem Fenster winkender Arm hinter der nächsten Kurve verschwunden war, stürzte ich ungeduldig ins Badezimmer, um meine neuen Kleider anzuprobieren. Zwar verspürte ich einen Anflug schlechten Gewissens über das Ausmaß der Euphorie, die sie bei mir auslösten, aber der hinderte mich nicht daran, genüsslich in das leuchtend dunkelrote Kaschmir zu schlüpfen.
    Ja, Tante Hilde hatte Recht gehabt. Rot stand mir ausgezeichnet – es verlieh mir einen dramatischen Ausdruck. Mein Gesicht wirkte rassiger, die Augen feuriger. Mein neues Spiegelbild war mehr als ungewohnt – und es gefiel mir.
    Auch die anderen Farben unterstrichen meine auffällige Erscheinung. In den Tarnfarben hatte ich immer irgendwie unecht ausgesehen: das Haar zu schwarz, der Teint zu dunkel, die Lippen zu rot, das Weiß der Augen zu weiß. Aber auf einmal passte alles zusammen.
    Was Monika dazu sagen würde?
    Der Gedanke an Monika erinnerte mich daran, dass ich nicht unnötig Zeit vertrödeln sollte. Meine Pflanzenbücher und übersichtliche Garderobe waren schnell gepackt – aber die Pflanzen im Gewächshaus würden mehr Zeit kosten.
    Fünf Stunden später orderte ich mit deutlich hörbar knurrendem Magen erschöpft, aber glücklich eine Pizza mit viel Knoblauch und Sardellen. Wenn ich morgen stank, war es allein meine Angelegenheit.
    Der Pizzabote grinste, als er mir den heißen Karton aushändigte und verabschiedete sich mit »Ciao, Bella«, obwohl ich mir für die Arbeit meinen ältesten Pullover angezogen hatte.
    Die Transportfirma kam pünktlich. Die beiden Packer amüsierten sich königlich über mein gluckenhaftes Verhalten. »Fräuleinchen, wir ham schon ganz anderes transportiert«, versicherte mir der ältere. »Wir wer’n Ihre kostbaren Blümchen schon nich auf’n Kopp stellen!«
    Ich verzichtete auf einen letzten Kontrollgang. Den hatte ich
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