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Schwarzbuch Kirche - Und führe uns nicht in Versuchung

Titel: Schwarzbuch Kirche - Und führe uns nicht in Versuchung
Autoren: Bastei Lübbe
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die von zweifelhaften Führern geleitet werden oder Strukturen aufweisen, die geradezu zum Missbrauch einladen. Die konservativen Gruppen begünstigen die Unsensibilität der Kirche gegenüber Islam und Judentum und betonen eine rigorose Moral, vor allem in Fragen von Familie, Frauen und Sexualität. An der Aufdeckung von Kirchenskandalen sind sie in der Regel nicht interessiert, da sie darin nur eine Schwächung der Macht der Kirche sehen.
    Die Kirche beansprucht seit jeher das Monopol hinsichtlich der Beurteilung von Ereignissen oder Gegenständen, die sich zwischen der irdischen und der jenseitigen Welt befinden beziehungsweise diese beiden Sphären miteinander verbinden. Dabei war und ist sie bereit, jede Vorsicht und rationale Betrachtung hintanzustellen, wenn nur genügend große Menschenmengen von vermeintlich übernatürlichen Vorgängen bewegt werden. In jüngster Zeit zeigt sich das an der Heiligsprechung des Juan Diego, der wohl nie existiert hat, und dem wankelmütigen Umgang mit den »Marienerscheinungen« in Medjugorje, durch die die Glaubwürdigkeit kirchlichen Urteilens infrage gerät. Genauso problematisch für die Glaubwürdigkeit der Kirche ist die Doppelstrategie im Umgang mit dem »Bösen«: Für aufgeklärte Christen wird die Personifikation Satan aufgegeben, doch für schlichte Gemüter werden Exorzisten bestellt.
     
    Aus dem ursprünglichen Wächteramt der Kirche über den wahren Glauben wurde unter dem Eindruck eigener kirchlicher Macht der Zwang zum Guten, koste es, was es wolle – auch das Leben des Gläubigen. Mitleidslos wurden Menschen zu Opfern der Inquisition gemacht. Das Meinungsmonopol, das die Kirche einst durch die alleinige Verfügung über Texte und Lehrpersonen besaß, sollte mit Macht mittels Zensur erhalten werden. In abgeschwächter Form setzt sich die Einteilung theologischer Gedanken in wahr oder falsch heute in der Glaubenskongregation fort, wirkliche Gedankenfreiheit gibt es in der Kirche bis heute nicht.
    Die Beschleunigung der Entwicklung in Technik und Gesellschaft wurde von der Kirche lange nicht verstanden, adäquate theologische Umsetzungen wurden sogar bekämpft. Deshalb lehnte die Kirche jede wesentliche wissenschaftliche oder gesellschaftliche Neuerung in den letzten zweihundert Jahren rigoros ab. Nur mühsam gelangen seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil einzelne Frontbegradigungen wie bei der Evolutionstheorie. Gerade die für das Alltagsleben der Menschen wichtigen Änderungen, die die Rolle der Frau und die veränderte Einstellung zur Sexualität betreffen, führten bei der Kirche jedoch eher zu einer Verschärfung der klassischen Moralvorschriften. Und die Stellung der Frau blieb in der Kirche fast so, wie sie immer schon war, ungeachtet des wachsenden Drucks nach Veränderung.
    Das ist der Befund, ein trauriger, ein quälender Befund – jedenfalls für Leute, denen die Kirche nicht grundsätzlich egal ist oder die sie ohnehin nur für eine große Verbrechensorganisation halten. Natürlich ist das Ergebnis dieses Schwarzbuchs gewollt einseitig. Es sollten nicht große Erklärungen gesucht, Entschuldigungen gefunden oder zur Kompensation des Schlechten auf vieles Gute verwiesen werden. Die Intention war und ist, der Enttäuschung vieler Menschen über die Kirche Ausdruck zu verleihen, die sie spätestens nach Bekanntwerden der jüngsten Skandale erlebt haben. Und weiterhin sollte diese Enttäuschung vollständig werden, um zu einem realitätsnäheren Kirchenbild zu führen. Es ging darum, den Teppich zu lüften und vollständig sichtbar zu machen, was unter ihn gekehrt wurde – nicht nur die Stellen, an denen das Schwarze aufgrund der neuesten Enthüllungen gerade zu sehen war. Erst die vollständige Erkenntnis auch ihrer dunklen Seiten der Kirche ermöglicht ein wahrhaftiges Bild von der Kirche.
    Dies betrifft auch die zeitliche Dimension. Die Kirche im Jahr 2010 ist nicht schlechter als früher. Vielleicht ist sie sogar ein kleines Stückchen besser als früher. Als Skandal empfunden werden zum Beispiel die Missbrauchsfälle in katholischen Internaten in Deutschland erst heute. Stattgefunden hat der größte Teil dieser Fälle jedoch vor Jahren und Jahrzehnten. Die Strukturen, die ermöglichten, dass die Skandale so lange vertuscht werden konnten, beruhen auf Entscheidungen, die schon jahrhundertealt sein können. Und diese Strukturen wirken sich nicht nur an einer Stelle aus. Egal ob es um Korruption, Machtmissbrauch, Einsatz von Gewalt, Geldwäsche
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