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Schwarz-Indien

Schwarz-Indien

Titel: Schwarz-Indien
Autoren: Jules Verne
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vielleicht mehr als
    nötig aufgeregt, zur Ruhe.
    Am nächsten Morgen stand James Starr schon um 5 Uhr
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    auf, kleidete sich warm an, denn es fiel ein kalter Regen, und
    verließ das Haus in der Canongate, um vom Granton-Pier
    aus das Dampfboot zu benutzen, das in 3 Stunden den Forth
    bis nach Stirling hinauffährt.
    Als James Starr die Canongate* durchschritt, sah er sich
    vielleicht zum ersten Mal nicht nach Holyrood, dem Palast
    der früheren Regenten von Schottland, um. Er bemerkte vor
    dessen Toren die Wache nicht, die davorstand in dem alten
    schottischen Kostüm, dem grünen kurzen Rock, karierten
    Schal und mit dem langhaarigen bis auf die Schenkel her-
    abhängenden Ziegenfell. Obwohl ein großer Verehrer von
    Walter Scott, wie ein jeder echte Sohn des alten Kaledoni-
    ens, würdigte er heute das Gasthaus doch keines Blicks, in
    dem Waverley abstieg und wo ihm der Schneider das be-
    rühmte Kriegskleid brachte, das die Witwe Flock so naiv
    bewunderte. Er begrüßte auch den kleinen Platz nicht, auf
    dem die Bergschotten nach dem Sieg des Prätendenten und
    auf die Gefahr hin, Flora MacIvor zu erschießen, ihre Ge-
    wehre abfeuerten. In der Mitte der Straße zeigte die Uhr
    des Gefängnisses ihr trauriges Zifferblatt; er sah nur da-
    nach, um sich zu überzeugen, daß er die Zeit der Abfahrt
    nicht versäumte. Auch in Nelher Bow richtete er den Blick
    nicht nach dem Haus des großen Reformators John Knox,
    des einzigen Mannes, den das Lächeln Maria Stuarts nicht
    verführte. Durch die High Street, die weitbekannte Straße,
    deren genaue Beschreibung man in dem Roman ›Der Abt‹
    * Eine berühmte Hauptstraße des alten Edinburgh.
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    findet, wendete er sich nach der gigantischen Brücke, der
    Bridge Street, welche die drei Hügel Edinburghs miteinan-
    der verbindet.
    Wenige Minuten später langte er bei dem Bahnhof der
    ›General Railway‹ an, und eine halbe Stunde später erreich-
    te er mit dem Zug Newhaven, ein hübsches Fischerdorf,
    eine Meile von Leith, das den Hafen Edinburghs bildet. Die
    steigende Flut bedeckte dort den schwärzlichen, steinigen
    Strand. Die Wellen bespülten dort einen auf Pfählen errich-
    teten und von Ketten gehaltenen Hafendamm. Links davon
    lag eines der Boote, die den Verkehr auf dem Forth, zwischen
    Edinburgh und Stirling vermitteln, am Granton-Pier gekettet.
    In diesem Augenblick wirbelten aus dem Schornstein
    der ›Prince de Galles‹ schwarze Rauchwolken auf, und zi-
    schend blies der Kessel überflüssigen Dampf ab. Bei dem
    Ton der Glocke, die nur wenige Male anschlug, beeilten
    sich die letzten Passagiere, noch das Schiff zu erreichen. Da
    tummelten sich untereinander eine Menge Kaufleute, Päch-
    ter, nebst einer Anzahl Diener, welch letztere man an den
    kurzen Kniehosen, langen Überröcken und einem schma-
    len weißen Streifen rings um den Hals erkannte.
    James Starr war nicht der letzte, der sich einschiffte.
    Er sprang leicht aufs Verdeck der ›Prince de Galles‹. Ob-
    wohl es heftig regnete, dachte doch keiner der Passagiere
    daran, im Salon des Dampfers Schutz zu suchen. Alle blie-
    ben unbeweglich und in Reisedecken und Mäntel einge-
    hüllt sitzen; einige stärkten sich dann und wann durch ei-
    nen Schluck Gin oder Whisky aus der Feldflasche, was man
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    dort ›sich inwendig anziehen‹ zu nennen pflegt. Ein letztes
    Läuten der Glocke ertönte, die Taue wurden gelöst und die
    ›Prince de Galles‹ wand sich durch einige vorsichtige Be-
    wegungen aus dem kleinen Becken heraus, das sie vor den
    Wogen des Meeres schützte.
    ›Firth of Forth‹ ist der Name des Golfs, der sich zwi-
    schen den Grafschaften Fife im Norden und Linlithgow,
    Edinburgh und Haddington im Süden ausbreitet. Er bildet
    den Ausfluß des Forth, eines unbedeutenden Flusses, der
    ähnlich der Themse oder Mersey sehr tief ist und, von den
    westlichen Abhängen des Ben Lomond herabfallend, sich in
    das Meer von Kincardine ergießt.
    Vom Granton-Pier bis zum Ende des Golfs wäre nur eine
    geringe Strecke, wenn nicht die Notwendigkeit, wiederholt
    an beiden Ufern anzulegen, große Umwege veranlaßte.
    Städte, Dörfer und einzelne Landsitze schimmern an den
    Ufern des Forth aus den üppigen Baumgruppen der frucht-
    baren Landschaft hervor. James Starr stand geschützt unter
    der Kapitänsbrücke, die vom einen Radkasten zum andern
    führt, und gab sich offenbar gar keine Mühe, etwas von der
    Umgebung zu sehen, welche die schrägen Striche des Re-
    gens
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