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Schwaben-Rache

Schwaben-Rache

Titel: Schwaben-Rache
Autoren: Klaus Wanninger
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zwische Ratte und Spanferkel, noi!« Er winkte mit beiden Händen ab.
    »Sie haben wirklich gute Augen«, lobte der Kommissar, »von dem winzigen Haar her auf einen Rauhaardackel zu ...«
    »Ach was! Sie wisset doch genau, dass i ohne Brille kaum was erkenne kann.«
    Göckele drehte sich um und lief die Treppe hoch zum Fenster, öffnete es und entließ das unsichtbare Stück in die Luft. Braig nutzte die Gelegenheit, um sich zu verabschieden.
    »Neue Gesetze brauchet mir halt, dass d' Leut zwunge sind, uf ihre Nachbar zu achte!«, schallte es hinter ihm her.
    Es war jedes Mal aufs Neue ein Graus, Göckele zu begegnen. Mehrfach schon hatte Braig überlegt, die Wohnung zu kündigen, um sich jeden weiteren Kontakt mit dem Mann zu ersparen.
    Er schnaufte die letzten Stufen hoch, wobei er die kleine Karte schon von Weitem sah. Der bunt verzierte Gruß an seiner Tür erinnerte ihn an die Einladung. Er zückte seinen Block und läutete bei seiner Nachbarin.
    »Oh, Frau Ungemach«, jammerte er schuldbewusst, »ich bin wieder sehr spät.«
    »Nur keine Panik.«
    »Dafür habe ich aber einen neuen Ausdruck.«
    »Einen neuen?«
    Elisabeth Ungemachs Augen leuchteten vor Freude. Sie steckte sich den Kugelschreiber hinter ihr rechtes Ohr, gab Braig die Hand.
    »Sie haben geschrieben?«
    Sie nickte.
    »Hoffentlich mit Erfolg.«
    Elisabeth Ungemach war das Bilderbuch-Exemplar der liebevoll-besorgten Nachbarin jenseits der Lebensmitte. Sie erinnerte ihn an die Miss Marple der alten Agatha-Christie-Filme. Die weißgrauen Haare regelmäßig, alle acht Tage, jeweils am Samstagmorgen, zu frischen Locken geformt, blitzte sie mit ihren kleinen Augen neugierig umher. Ihr wohlgerundetes Gesicht wurde von dicken dunkelroten Pausbacken und einer lustig-pummeligen Knollennase beherrscht. Zwischen Kopf und Schultern fand sich kaum ein Übergang: Die beiden Körperteile liefen, verdeckt von speckigen Kinnfalten, direkt ineinander über. Die Arme, der Leib und die Beine waren allesamt mit überaus reichhaltigen Fettpolstern ausgestattet, sodass sie bei jeder Fortbewegung sofort in einen quaddelnden, entenartigen Gang verfiel. Dennoch war sie keine gutmütig-naive Oma im herkömmlichen Sinn, die ihre Tage mit der Sorge um Enkel und dem Wohlergehen der europäischen Fürstenhäuser verbrachte.
    »An wen gehen die Briefe heute?«, erkundigte sich Steffen Braig.
    Elisabeth Ungemach zog ihn von der Tür weg in ihr Wohnzimmer, einen kleinen Raum mit einem übervollen Sekretär in der Ecke, der aus allen Nähten platzte, geblümter Tapete und mächtiger Standuhr, deren großes Pendel hin und her schwang.
    Mittendrin der üppig gedeckte kreisrunde Tisch: Teller, Gläser, Besteck, Schüsseln, Karaffen und jede Menge bunte Servietten standen bereit. Am linken und am rechten Ende brannte je eine Kerze in Gestalt zweier verschiedener Mainzelmännchen. Links die Figur, die den Mund weit geöffnet hatte zum bekannten »
Guten Aaaabend
«, rechts ein Mainzelweibchen, das nur einen grünen Rock trug und seinen wohlgerundeten Busen zur Schau stellte. Der ganze Raum roch intensiv nach herbem Männerparfum, eine ihrer besonderen Vorlieben.
    »Hero?«
    Sie nickte. »Erraten. Stehe zurzeit drauf. Macht mich richtig an.«
    Sie zog ihm die Jacke vom Leib, hängte sie über den freien Stuhl und schob ihn auf seinen gewohnten Platz.
    »Heute klebe ich den ganzen Tag an den Südstaaten der USA. Texas, Mississippi, Arizona und so weiter. Todesstrafe. Gottes eigenes Land. Und wer sitzt in den Todeszellen? Schwarze, Arme, immer mehr Jugendliche. Sie unterschreiben?«
    Braig nickte bereitwillig. Für ihr Engagement zugunsten unterdrückter und verfolgter Menschen auf der ganzen Welt war Elisabeth Ungemach keine Mühe zu viel. Sie arbeitete in der Stuttgarter Amnesty-International-Gruppe mit, schrieb Briefe an sämtliche Tyrannen, bettelte um Gnade für die unschuldigen Opfer. Es gab keinen Gast, keinen Freund oder Verwandten, der von ihr ging, ohne einen oder mehrere Briefe mit seinem Namen unterschrieben zu haben.
    »Nach dem Essen«, erklärte sie, »vielleicht können wir die selbstgerechten Südstaaten-Politiker dazu bewegen, sich zu überlegen, woraus ihre irrsinnig hohen Kriminalitätsraten resultieren.«
    Sie verschwand in ihrer kleinen Küche. Braig hörte den Deckel des Mülleimers auf- und zugehen, dann klapperten Schüsseln und Töpfe.
    »Und wie heißt der neue Ausdruck?« Ihr Kopf lugte durch die Türöffnung.
    »Hm, den kennen Sie garantiert nicht.« Er grinste
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