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Schutzkleidung is nich!: Unter Bauarbeitern (German Edition)

Schutzkleidung is nich!: Unter Bauarbeitern (German Edition)

Titel: Schutzkleidung is nich!: Unter Bauarbeitern (German Edition)
Autoren: Nicholas Grünke
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dir nicht folgen.»
    Richie nimmt mich am Arm und winkt Pau rüber: «Kommt! Ich zeig euch dat.»
    Die Theke erstreckt sich weit bis in den hinteren Bereich der Kneipe. Wir gehen an den Stammgästen vorbei, die dichtgedrängt am Tresen sitzen und sich vom Deo-Roller und den zwei aufgedonnerten Blondinen bedienen lassen. Ich entdecke Jochen und den Pfälzer Deppen, wie sie gebannt durch ihre Humpen auf das Monster-Dekolleté starren. Pau versucht sich hinter mir zu verstecken, um den lüsternen Blicken seiner neuen Freundin zu entgehen.
    An einem schlecht beleuchteten Billardtisch steht ein Bär von einem Mann mit Rockerweste und entblößten Oberarmen und stößt wuchtig die weiße Kugel an. Der Queue wirkt wie ein Sushi-Stäbchen in seinen Pranken. Die anderen Kugeln springen knackend aus ihrer Position im Dreieck. Die 14 knallt in das Loch links hinten, und die 8 rollt gefährlich nahe hinterher.
    «Wir ham die Halben, Manni!», ruft er zu dem kugelförmigen, etwa 1 , 70  Meter großen Mann, der in seinen Wurstfingern einen klitzekleinen Kamm hält und sich gerade den Seitenscheitel nachzieht. Neben ihm steht ein schlaksiger junger Kerl mit einer auffällig langen Nase. Lässig hält er seinen Queue, während er zwei Schabracken mit Dauerwelle anbaggert. Zwischen knallrot lackierten Nägeln dampfen die Zigaretten. Und das wahrscheinlich seit 40  Jahren, wenn ich mir die von horizontalen Falten durchfurchten Oberlippen so anschaue. Nein, diese beiden Damen sind wirklich nicht vom Glück geküsst.
    «Ey, altes Haus!», wird Richie von dem dürren Hecht freundlich empfangen.
    «Jaja, lass bloß die Dagmar in Ruhe, Karsten! Lass deinen Zinken bei dir!»
    Richie gibt den beiden Frauen einen Kuss auf die Wange und deutet dann auf zwei Stehtische, auf denen jeweils ein angefangener Halbkreis aus Kümmerling-Fläschchen liegt.
    «Dat wird ’ne Sonne, wenns feddich is!»
    «Wie?» Pau hat es nicht verstanden.
    «Na, wenn die Kümmerlinge einen geschlossenen, großen Kreis bilden! Dat nennen wir Sonne! Und wer als Erstes eine Sonne gesoffen hat, gewinnt! Haste kapiert, Spanier?
    «Katalane, Mann! Und wie viele Flaschen braucht man, bis die Sonne fertig ist?»
    « 65 !»
    «Das ist ja Wahnsinn! Und Bier trinken die auch noch. Da kriegt man ja ’ne Alkoholvergiftung.»
    Richie winkt nur ab und fragt den Cowboy, der angestapft kommt: «Ey, John, wer gewinnt denn?»
    «Wir sind fünf Flaschen vor. Aber du kennst ja unsern Karsten, die alte Saufziege», John klopft seine Schachtel Roth-Händle auf den Handrücken, «am Ende kippt er sich die Dinger wieder doppelt rein, und wir verlieren.»
    Karsten feixt siegessicher und streckt einen Daumen in die Höhe.
    Ich habe in Bars ja vieles erlebt, aber das hier ist absurd. Eine Sonne saufen! Und bei der traurigen Alten leuchtet eine rote Plastikrose im wasserstoffblonden Haar. Für einen Moment fühle ich mich in einen David-Lynch-Film versetzt.
    An der Theke hat Matze sich neben Hans gesetzt und hört aufmerksam zu. Die Schaumkrone ihrer frisch gezapften Biere ist noch jungfräulich.
    «Dat machen alle. So kannste echt ’n paar Kröten sparen», brummt Hans, und erst später erfahre ich, dass es darum geht, wie man zu Hause den Stromzähler mit einem starken Magneten sabotieren kann.
     
    Das Glöckchen über der Eingangstür bimmelt und ein eiskalter Windstoß weht herein. Simon und Kai treten durch den Türrahmen, und sämtliche Köpfe am vorderen Tresen drehen sich erneut wie automatisiert zur Seite.
    In diesem Moment prallen die beiden Lebenswelten, in denen ich mich im vergangenen Jahr abwechselnd bewegt habe, aufeinander. Hoffentlich geht das gut, denke ich noch, als ich fassungslos meinen Freund Kai betrachte. Der hatte offensichtlich die zweifelhafte Idee, hier in dieser Arbeiterkneipe in einem Boss-Anzug aufzutauchen.
    «Mann, kommst du direkt aus dem Büro? Bisschen sehr overdressed», flüstere ich ihm zu, während wir uns zur Begrüßung umarmen. Nachdem ich alle miteinander bekannt gemacht habe, will Kai bei Werner bestellen.
    «Entschuldigen Sie, ich hätte gerne ein Glas trockenen Rotwein.»
    Der Deo-Roller runzelt die Stirn und guckt grimmig.
    «Ey, willste mich verarschen, oder wat? Richie, gehört der zu euch? Sonst schmeiß ich den raus!»
    Mein Bruder reagiert am schnellsten.
    «Schon gut, wir nehmen beide ’n großes Pils und ’nen Kümmerling. Danke.»
    «Na also! Und du», der Deo-Roller streckt seinen verschwitzten Kopf ganz nah vor Kais Gesicht, «ziehst
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