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Schutzkleidung is nich!: Unter Bauarbeitern (German Edition)

Schutzkleidung is nich!: Unter Bauarbeitern (German Edition)

Titel: Schutzkleidung is nich!: Unter Bauarbeitern (German Edition)
Autoren: Nicholas Grünke
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auf den Paletten. Stündlich wechseln wir die Positionen. Wir funktionieren wie Maschinen an einem Fließband. Nur dass wir dabei Staub spucken.
    Jeden Morgen müssen wir den Tisch aus dem Mörtelberg heben und ein Stück versetzen. So bewegen wir uns einmal quer durch den Raum, und schnell ist der gesamte Fußboden bedeckt mit abgeschlagenen Mörtelstücken.
    «Scheiße, guck dir mal meine Daumen an!»
    Matze hat die Handschuhe ausgezogen. Seine Daumen sind an den Innenseiten dick angeschwollen.
    «Meine sehen nicht besser aus. Hier!»
    Von Steinbergen umgeben, stehen wir im Kreis, strecken unsere Daumen in die Mitte und betrachten die Deformierungen.
    «Kennt ihr Wong Kar-Wai, den Regisseur? Habe gestern einen seiner Filme gesehen,
2046
. Wirklich toll», wechselt Pau abrupt das Thema. Mit diesem tatsächlich großartigen Film trifft er bei mir ins Schwarze.
    «Ja, den kenne ich natürlich. So einen Film vergisst man nicht. Vor allem die Szene, als sie ihr Geheimnis in das geschnitzte Loch im Baum sprechen …»
    «… und dann mit Schlamm verschließen», vollendet Pau meinen Satz.
    «Wundervolles Bild, nicht wahr?»
    Matze guckt uns fragend an.
    «Hm, dann muss ich mir den wohl ma angucken. Aber», jetzt dreht er den Kopf suchend um, «ich kenn auch ’n Geheimnis. Von ’nem alten Rohrleger aus Cottbus.»
    Er steuert auf die Ecke zu, in der Rainer und Konsorten vor Wochen ein paar leere Bierflaschen zurückgelassen haben. Mit einer Buddel in der Hand kommt er zurück, nimmt ein Centstück aus seiner Hosentasche und wirft es hinein.
    «Jetzt flüstere ich einen Wunsch in die Flasche und wenn der Boden rausbricht, geht der in Erfüllung.»
    «Wie bitte?»
    Matze hat seinen angeschwollenen Daumen schon auf der Öffnung und schüttelt die Bierflasche wie ein Wahnsinniger. Das Centstück knallt rhythmisch gegen das Glas.
    Pau schaut mich mal wieder verwirrt an und nuckelt hilfesuchend an seinem Kool Aid. Der denkt wahrscheinlich, die sind alle nicht ganz dicht, die deutschen Bauarbeiter.
    Auf einmal gibt es ein helles Ticken in der Flasche, der Boden bricht in einem Stück heraus und fällt lautlos in den Mörtel.
    «Tadaaa!», singt Matze stolz.
    Die Tür geht auf, und ein ungewöhnlich angenehmer Geruch steigt mir in die Nase.
    «Na, wat macht ihr wieder für ’nen Scheiß? Ihr sollt arbeiten!» Peter hat drei Pizzakartons auf dem Arm. «Hier! Ich dachte, ihr könnt ’ne extra Stärkung vertragen.»
    «Äh, danke.»
    Wir sind fast ein bisschen sprachlos. Eine nette Geste. Von Peter! Selbst der unsensible Leprechaun scheint gemerkt zu haben, dass die Arbeit von uns Trümmermännern die Hölle ist. Als ich meinen Pizzakarton aufklappe, ist die Freude allerdings sofort gedämpft. Spaghetti Bolognese als Pizzabelag? Ich weiß nicht, ob ich lachen oder weinen soll. Na ja, wie sagt man? Der gute Wille zählt.

    Nach drei Wochen Tortur mit dem Stemmhammer und palettenweise gestapelten Steinen sind Paus Handgelenke entzündet. Seine Finger sind so verkrampft, dass er die Makita nicht mehr ohne Schmerzen halten kann.
    Mir ergeht es nicht viel besser. Auch ich habe durch die sich ständig wiederholenden Bewegungen unangenehme Verschleißerscheinungen. Durch das Drehen des Hammers sind die Sehnenansätze in meinem Unterarm so gereizt, dass der Arzt eine Epicondylitis feststellt. Der Volksmund nennt das Tennisarm. Ausgerechnet jetzt. Kurz, bevor ich das Kapitel Baustelle sowieso schließe.
    Die vorweihnachtliche Stimmung wird außerdem von unbezahlten Rechnungen getrübt. Pau hat seit seinem ersten Tag noch keinen einzigen Cent gesehen. Und von Richie, Hans und Matze weiß ich, dass sie wie ich seit Wochen auf ihr Geld warten. Als ich Peter darauf anspreche, reagiert er übellaunig:
    «Der Bauherr hat Geldprobleme. Da is noch einiges nich bezahlt. Kann ich nix machen. Müsst ihr noch warten.»
    «Ja, wie? Ihr könnt doch nicht einfach Leute arbeiten lassen, ohne dass Geld da ist.
    Wo gibt’s denn so was?»
    «Dat is so. Punkt, aus. Dann müsst ihr halt aufhören!», sagt er mir noch unverschämt ins Gesicht und verlässt einfach die Hütte.
    Konfrontation ist nicht seine Stärke, das ist mir mittlerweile ja klar. Aber dass er die Jungs und mich genauso abspeist wie die anderen Firmen, schockiert mich doch ein bisschen. Und die Szene kommt mir bekannt vor. Als ich ihn damals nach der Bezahlung von Jimmy und Co. gefragt hatte, hieß es nur lapidar: «Die müssen halt warten.» Aber eigentlich klang es wie: «Am liebsten
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