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Schuld währt ewig

Schuld währt ewig

Titel: Schuld währt ewig
Autoren: Inge Löhnig
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unbeleuchtet fuhr. Das wurde von einer weiteren Zeugin bestätigt, die das Geschehen aus der anderen Richtung und mit deutlich größerer Entfernung beobachtet hatte, erklärte Schellenberg. Büttner hatte den Fahrer nicht gesehen und auch das Kennzeichen nicht erkannt. Beim Fahrzeugtyp war er sich nicht sicher. Nissan, Toyota, Honda? Vermutlich etwas Asiatisches. Es war alles sehr schnell gegangen, und die hereinbrechende Dunkelheit hatte Beobachtungen nicht erleichtert.
    Dühnfort bedankte sich und verließ den Bus. Inzwischen hatte ein leichter Nieselregen eingesetzt. Gina kam auf ihn zu. »Eine Frau aus dem Haus gegenüber hat beobachtet, dass der Unfallwagen zehn bis fünfzehn Minuten lang ein Stück weiter unten in der Straße parkte und genau in dem Moment losfuhr, als Flade das Haus verließ. Sieht so aus, als würden wir nicht grundlos auf unseren freien Abend verzichten.«

5
    Seit Herr Kater sie gelegentlich auf ihrem Morgenspaziergang begleitete, fühlte Sanne sich paradoxerweise allein. Denn durch seine Anwesenheit betonte er die Einsamkeit, in die sie in den letzten Jahren langsam geschliddert war. Ganz unbeabsichtigt. Es war einfach geschehen.
    Zuerst hatte sie das Studium abgebrochen. Im sechsten Semester Kunstgeschichte. Es erschien ihr sinnlos, und sie konnte sich auch nicht mehr konzentrieren. Dann hatte sie Manuel vertrieben. Drei Jahre waren sie zusammen gewesen. Doch nach Ludwigs Tod war sie zu einer Frau geworden, in der Manuel seine Sanne nicht mehr erkannte. Die Sanne, die lieber Party machte, als für Klausuren zu lernen, die spontan zu einem Wochenendtrip irgendwohin aufbrach und immer dort sein wollte, wo etwas los war, aus Angst, etwas zu versäumen. Immer mittendrin, immer Halligalli. Und nun?
    Menschenansammlungen wurden ihr zuwider, und schließlich bekam sie in einer überfüllten U-Bahn ihre erste Panikattacke und dachte, sie müsste sterben. Kino, Theater, Konzerte begann sie ebenso zu meiden wie volle Läden am Wochenende und S- und U-Bahnen zur Rushhour. Manuel wollte seine alte Sanne wiederhaben. Es ging nicht.
    Ludwigs Tod veränderte alles.
    Der Einzige, der das verstand, war Thorsten. Der Mitarbeiter des Kriseninterventionsteams, der sich an jenem schrecklichen Abend um sie gekümmert hatte, während seine Kollegen Ludwigs Eltern, Evelyn und Nils, beistanden.
    Neun Monate nach dem schrecklichen Unfall hatte Manuel sich von ihr getrennt.
    Das war lange her. Sanne schritt aus. Steine knirschten unter den Sohlen der Stiefel. Das Geräusch durchbrach die Stille, die über Feldern und Wiesen lag. Mit jedem Schritt wurde der beginnende Tag heller, verstärkte sich das fahlgelbe Band am Horizont. Aus der eben noch dunklen Silhouette des Dorfs, die vor ihr im Morgendunst lag, schälten sich allmählich Dächer und Gebäude, Bäume und Mauern. Herr Kater verließ den Weg und schnürte in die Wiese.
    Nach der Trennung von Manuel war sie erst einmal bei ihren Eltern untergekrochen. Ihr Vater betrieb einen Handel mit Edelhölzern, die für die Innenausstattungen von Yachten ebenso Verwendung fanden wie für die von Fahrzeugen und Luxusboutiquen, und gelegentlich auch von Instrumentenbauern gekauft wurden. Daher kannte er Frederick Lüchow, einen Geigenbauer, der seine Werkstatt in Haidhausen betrieb.
    Eines Tages schnappte Sanne ein Gespräch zwischen den beiden auf. Frederick suchte einen Lehrling für Bogenbau, doch es war schwierig, diese Lehrstelle zu besetzen. Was er über die Ausbildung erzählte, klang verlockend. Eine ruhige Werkstatt. Ein weiterer Rückzugsort und vor allem die Möglichkeit, eine Ausbildung zu machen. Sie war dreiundzwanzig. Es war höchste Zeit.
    Eine Woche schnupperte sie bei Frederick in den Beruf hinein und spürte, dass er zu ihr passte. Keine Hektik, kein Stress. Mit ihren Händen zu arbeiten, aus unterschiedlichen Materialien und in verschiedenen Techniken einen Bogen zu erschaffen, bereitete ihr Freude und gab ihr das Gefühl, etwas zu erreichen.
    Vor zwei Jahren hatte sie ihre Lehre beendet und sich selbständig gemacht. München war ihr zu laut geworden, zu lärmend, zu schrill, zu hektisch. Deshalb war sie in den Landkreis umgezogen, nach Paschkofen.
    Beim Umzug hatte Thorsten ihr geholfen. Natürlich. Inzwischen war er zu einem guten Freund geworden. Eigentlich zu ihrem einzigen. Obwohl er den Umzug nicht guthieß, hatte er Kisten und Möbel geschleppt. Warum ziehst du dich derart aus dem Leben zurück? Ich verstehe es einfach nicht. Bestrafst du dich
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