Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Schuld währt ewig

Schuld währt ewig

Titel: Schuld währt ewig
Autoren: Inge Löhnig
Vom Netzwerk:
etwa selbst? Mir kommt es jedenfalls so vor. Als ob du dir nicht erlaubst, glücklich zu sein. Das ist doch unsinnig. Du musst Ludwigs Tod nicht sühnen. Magst du nicht doch endlich eine Therapie machen?
    Sich selbst zu bestrafen, für Ludwigs Tod zu sühnen. Sie hatte Thorstens Überlegungen brüsk von sich gewiesen. Doch wenn sie ehrlich zu sich war, dann steckte ein Funken Wahrheit darin. Vielleicht sogar mehr als nur ein Funken.
    Die Umrisse eines Joggers tauchten aus dem Dunst auf. Sanne gähnte. Die Müdigkeit saß ihr in den Knochen. Wieder hatte sie schlecht geschlafen. Es lag am Jahrestag. Wenn er vorüber war, würde es besser werden. Wie jedes Jahr. Alpträume und Erinnerungen würden für einige Zeit verschwinden. Diese Erinnerungen. Sie waren so erschreckend lebendig. Flashbacks. So nannte Thorsten sie. Ganz normal. Jedenfalls bei einer Posttraumatischen Belastungsstörung. Doch sie hatte keine psychische Störung. Sie führte das Leben, das ihr guttat. Es war doch ganz normal, dass man eine derartige Katastrophe nicht vergaß, nicht einfach wegsteckte und weiterlebte, als sei nichts geschehen.
    Ihr Atem stieg in weißen Wölkchen in den heller werdenden Morgen. Der Jogger kam näher. Es war der Buchhändler. Im Vorüberlaufen grüßte er und war vorbei, ehe sie antworten konnte.
    Zwei Jahre lebte sie schon in Paschkofen und fühlte sich hier wohl. Auch wenn sie sich am Dorfleben nicht beteiligte, man kannte und grüßte sie. Irgendwie gehörte sie dazu. Genau wie die anderen Künstler und Handwerker, die im umgebauten Haupthaus und den zahlreichen Nebengebäuden des ehemaligen Guts lebten und ihre Werkstätten hatten. Bis auf den ehemaligen Schweinestall waren alle belegt.
    Laura, die mit ihrem Mann Kachelöfen entwarf und fertigte, hatte Sanne vor ein paar Tagen erzählt, dass nun auch dieses letzte Häuschen vermietet war. Wer dort allerdings einzog, hatte der Dorffunk ihr noch nicht zugetragen. Die Gerüchte schwankten zwischen Schreiner, Bildhauer und Restaurator.
    Die Kirchturmuhr schlug acht, als sie auf den Kiesweg einbog, der zu ihrem Haus führte. Herr Kater tauchte plötzlich neben ihr auf. Er sah zufrieden und satt aus. Sannes Magen knurrte. Zeit fürs Frühstück.
    »Hattest du schon eine Maus, oder magst du einen Joghurt?«
    Herr Kater verstand dieses Wort. Sie hatte es getestet. Auch wenn sie es beiläufig erwähnte, spitzte er die Ohren, so wie jetzt. Er blieb stehen und sah erwartungsvoll zu ihr hoch. Sie lachte. »Nicht hier, sondern daheim.«
    Auch das verstand er, denn er lief schnurstracks aufs Haus zu. Doch plötzlich blieb er stehen und machte einen Buckel. Das Fell sträubte sich entlang der Wirbelsäule zu einem Kamm. So hatte sie ihn noch nie gesehen. Was war los? Suchend sah sie sich um und entdeckte vor dem ehemaligen Schweinestall einen Umzugswagen und davor einen Hund. Ein großes und zotteliges Vieh, das wie eine Mischung aus Bobtail und Golden Retriever aussah und nun seinerseits Herrn Kater bemerkte. Bellend rannte er los. Der Kater floh mit einem Satz über den Zaun. Der Hund sprang hinterher, jagte durch das Dickicht abgestorbener Stängel des Staudenbeets, sprang über den Wassertrog, warf den Topf mit den erfrorenen Chrysanthemen um und blieb kläffend unter der Kastanie stehen, in deren kahle Äste sich Herr Kater geflüchtet hatte. Triumphierend blickte er herunter.
    »Hamlet! Bei Fuß!«
    Sanne fuhr herum. Vor ihr stand ein Mann vom Typ Highlander. Lange braune Locken, riesengroß und breitschultrig. Allerdings trug der Recke weder Kilt noch Fellumhang, sondern schmuddlige Jeans und ein versifftes Holzfällerhemd. Seine Augen sprühten vor Zorn. »Bei Fuß!« Mit der Hand schlug er gegen seinen Oberschenkel. Hamlet kehrte mit einem Satz über den Zaun zurück. Immerhin folgte das Vieh seinem Herrn.
    Alles, was Sanne an einem Mann verabscheute, vereinigte sich in ihm. Fehlte nur das Breitschwert, um sein überbordendes Selbstbewusstsein und seinen Machtanspruch zu unterstreichen. Ihr Herz raste vor Angst und Wut. »Können Sie Ihren Köter nicht an die Leine nehmen!«
    Einen Augenblick starrte er sie an. Dann zog ein Lächeln über sein Gesicht. »Ebenfalls auf gute Nachbarschaft.«
    Was? Er war das, der den Schweinestall gemietet hatte? Dieser Highlander? Sie wollte ihn nicht als Nachbarn, und schon gar nicht seinen Hund! Sie hatte Angst vor Hunden. Und sie hatte Grund dazu. Als Kind war sie von einem in den Arm gebissen worden. Die Narben sah man heute
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher