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Schrottreif

Schrottreif

Titel: Schrottreif
Autoren: Isabel Morf
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ungerecht war, wie sie sich eingestehen musste. Auf den ersten Blick wirkte er ein wenig eigen, ein bisschen schrullig, vielleicht etwas lästig, jedoch harmlos. Aber mit der Zeit hatte Valerie ab und zu Blicke von ihm aufgefangen, die ihr nicht gefallen hatten. Kühl, hochmütig, spöttisch. Sie konnten einen unbeholfenen Kunden treffen oder Luís, wenn er Schweizerdeutsch sprechende Kundschaft nicht verstand, oder auch sie selbst, vor allem, wenn sie von irgendetwas genervt war, zum Beispiel von einem komplizierten Kunden, und es sich nicht anmerken lassen wollte. Hugo schien es zu merken – und zu genießen. Es begann sie zu stören, dass er regelmäßig im FahrGut herumlungerte, und sie überließ es meist Markus, sich mit ihm herumzuschlagen. Möglicherweise war das keine gute Idee gewesen. Hugo zu ›ermorden‹ hatte natürlich nichts genützt, der kam sowieso, ob er nun den halbjährlichen Versand bekam oder nicht. Die teuren Neuheiten, die in den Prospekten vorgestellt wurden, konnte er sich ohnehin nicht leisten. Aber immerhin erhielt er keinen Gutschein mehr, mit dem er zehn Prozent auf einen Winterservice erhalten hätte. Das hätte gerade noch gefehlt. Ob er vielleicht – nein, das traute Valerie ihm denn doch nicht zu, dass er auf solche Gemeinheiten kam.
    Sie sah auf. Tschudi war ja immer noch da. Er stand neben ihr, schaute auf sie herunter.
    »Und wie gehts der Frau Chefin?«, erkundigte er sich mit gespielter Ehrerbietung. »Viel Ärger im Geschäft wie meistens?«
    Valerie nahm sich zusammen. »Danke«, antwortete sie kurz, »mir gehts bestens.« Nur nicht provozieren lassen, ermahnte sie sich. Und fügte doch etwas bissig hinzu: »Wir haben günstige Schraubenzieher im Sortiment. Natürlich nur, falls Sie den Ehrgeiz haben sollten, zu lernen, selbst eine lockere Schraube anzuziehen.«
    »Wollen Sie damit sagen, bei mir sei eine Schraube locker?«, fragte Tschudi heiter zurück. »Dann wäre ich bei Ihnen ja an der richtigen Adresse.«
    Valerie hatte nicht die geringste Lust auf ein Wortgeplänkel. »Ich bin dabei zu arbeiten«, würgte sie das Gespräch ab. »Und normalerweise kosten Reparaturen bei uns etwas.«
    »Ja«, gab er verächtlich zurück. »Der heilige Kommerzius ist auch der Schutzpatron dieses Ladens. Da kann man so alternativ tun, wie man will, letztlich ist man doch die Chefin, die scheffelt. Ciao.«
    Tschudi ging. Markus warf ihr einen Blick zu. Scheffeln, dachte Valerie, wider Willen amüsiert. Was der sich wohl vorstellt? Sie konnte gut leben vom Geschäft, in den letzten Jahren war es stetig bergauf gegangen. Aber das richtige Business, um reich zu werden, war die Fahrradbranche mit Sicherheit nicht. Für Tschudi, diesen Moralisten, war man wohl schon eine Kapitalistin erster Güte, wenn man es auf mehr als das Existenzminimum brachte. Na ja, es lohnte sich nicht, viele Gedanken an Hugo Tschudi zu verschwenden.
    Valerie ließ Luís einen platten Reifen flicken und ging ins Büro hinunter. Der Hund hob seinen verstrubbelten Kopf und gähnte. »Faultier«, murmelte sie und tätschelte ihn. Aber er sprang, erfrischt vom Morgenschläfchen, auf, alles andere als ein Faultier, und schaute sie erwartungsvoll an. Valerie sah auf die Uhr. »In einer halben Stunde ist Mittagspause, dann gehen wir zusammen raus, okay?«
     
    2. Teil
    Als Erstes brachte sie mittags den anonymen Wisch zum Polizeiposten. Elmer studierte die Botschaft. »Scheint keinen Sinn zu ergeben. Da ist nur die Verbindung mit dem toten Fisch. Es sei denn, der Täter ist der Meinung, dass Sie gegen den Strom schwimmen. Könnte sich auf Ihren Beruf beziehen. Aber das hilft uns nicht weiter. Vielleicht ist es schlicht ein Psychopath, der Ihnen einen toten Fisch schickte, weil der leichter aufzutreiben ist als ein Kalbskopf. – Entschuldigung«. Valerie war zusammengezuckt. »Ich werde auch dieses Papier auf Spuren untersuchen lassen. Einstweilen bitte ich Sie, die Sache nicht zu sehr auf die leichte Schulter zu nehmen. Passen Sie auf sich auf.«
    Na, vielen Dank, dachte Valerie etwas unzufrieden, als sie davonzog. Sie drehte mit dem Hund eine Runde im Quartier. Seppli schnupperte hingebungsvoll an einem undefinierbaren Fleck auf dem Asphalt. Valerie ließ ihn gewähren. Sie hatte es nicht eilig, sie wollte auch nicht nachdenken, sondern für eine halbe Stunde so tun, als wäre es ein ganz normaler Tag, ein Spaziergang wie jeder andere. In diesem Viertel gab es zum Teil verkehrsberuhigte Straßen mit älteren
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