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Schritte im Schatten (German Edition)

Schritte im Schatten (German Edition)

Titel: Schritte im Schatten (German Edition)
Autoren: Doris Lessing
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Jahrzehnte immer wieder hervorgehoben hat. Zugleich erhob sie für dieses Romanprojekt den Anspruch, Einteilungen, Polarisierungen und Kategorisierungen zu vermeiden: »Diese großen Dichotomien sind unser Verderben, sie … lassen uns nach dem, was uns trennt, viel intensiver Ausschau halten als nach dem, was wir gemeinsam haben.«
    In Doris Lessings damaliger Lebenssituation bestimmte der Wunsch nach einem Neuanfang die Arbeit an diesem Roman. Die Entstehung des
Goldenen Notizbuchs
sei, so schreibt sie, nicht langwierig, aber komplex gewesen: »Ich war an einem Scheideweg angekommen, an einem Wendepunkt; ich war im Umbruch und bereit für Neues.«
    Dieses Bedürfnis nach Neuem zusammen mit dem zuvor formulierten Gestaltungs- und Wirkungsanspruch an den Roman wirkte sich auf die Form des Erzählens aus, denn mit Formen des herkömmlichen realistischen Romans war die beabsichtigte Wirkung erklärtermaßen nicht zu erzielen. Die Lösung fand Doris Lessing im Aufbrechen der linearen Erzählstruktur: Formales Prinzip des Romans
Das goldene Notizbuch
ist nicht das lineare Erzählen einer Geschichte, sondern deren Aufspaltung in Fragmente von graduell unterschiedlicher Fiktionalität, in Einzelaspekte von Figuren und Ereignissen, wodurch ein Kaleidoskop von Eindrücken, Gedanken, Reflexionen und Emotionen entsteht – ein, wie Doris Lessing resümiert, »überaus
konstruiertes
Buch, in dem es um das Verhältnis seiner Teile zueinander ging«.
    Im Verhältnis der Teile zueinander also, in der
Form
des Romans (und nicht im Rückgriff auf tatsächlich Erlebtes) liegt seine Wahrheit, sein »Realismus«: Nicht nur die Gedanken- und Erlebniswelt der Protagonisten ist wie die der Autorin zersplittert, auch ihr Abbild, die Form des Romans, ist fragmentiert. Mit dieser Korrespondenz trägt die Autorin ihrem Prinzip der Vielfalt des Erzählens Rechnung und reagiert zugleich auf das von ihr formulierte Problem von Wahrheit und Realismus: Sie verweist mithilfe der fragmentarischen Form auf die Komplexität erlebter Wirklichkeit. Die Zeit, in der Doris Lessing den Weg ihrer Figuren in unbefangener, linearer Engführung mit der eigenen Biografie nachzeichnen konnte, war also mit
Sturmzeichen
, dem dritten Band der erwähnten Pentalogie »Kinder der Gewalt«, zu Ende gegangen.
     
    Doris Lessing beschreibt in
Schritte im Schatten
auch eine Veränderung, die sich durch die Arbeit am
Goldenen Notizbuch
wiederum in ihrem Leben vollzog und weitreichende Folgen hatte. Wie die Autorin im Anschluss an ihre Reflexionen über das
Goldene Notizbuch
darlegt, war es dieser Veränderung zuzuschreiben, dass sie aktiv begann, sich von einmal erkannten Denkschablonen zu befreien, von dem, was sie in
Schritte im Schatten
»das Paket« nennt – von einem Konglomerat anerkannter und eigentlich unantastbarer Denk- und Lebensweisen. Welche Vielfalt diese Befreiung in Hinsicht auf literarische Themen und Gestaltungsformen nach sich ziehen sollte, konnten wir in den nunmehr fünfundvierzig Jahren seit dem Erscheinen des
Goldenen Notizbuchs
bei der Lektüre von Doris Lessings Werken nachvollziehen.
     
    Beide Bände der Autobiografie sind unentbehrliche Schlüssel für Doris Lessings erzählerisches Werk. Bereits in
Unter der Haut
, ihrem Bericht über die ersten drei Lebensjahrzehnte, klingen Motive an, auf die Doris Lessing in späteren Werken immer wieder Bezug genommen hat. Dort werden vor allem jene Motive sichtbar, die mit ihren Jahren in Afrika zusammenhängen: das Leben im Busch, das Freiheitsstreben des jungen Mädchens, die Euphorie der ersten Jahre unter politisch Gleichgesinnten, Kolonialismus und Rassismus, die den Alltag prägten.
    Doch auch in
Schritte im Schatten
gibt es Motive, die sich in Werken aus den späteren Jahren nach 1962 wiederfinden. Hier treten sie allerdings auf mehr oder minder stark vermittelte Weise in Erscheinung, denn wie wir gesehen haben, hatte sich Doris Lessing im Zuge der Arbeit am
Goldenen Notizbuch
von der direkten Verwendung autobiografischer Details abgewandt. So taucht vor allem die autobiografisch geprägte mütterliche Figur der künstlerisch tätigen Frau, die in ihrem Haus eine Gemeinschaft von Zufluchtsuchenden betreut, in späteren Romanen und Erzählungen immer wieder auf; bisweilen dient dort auch die Welt des Theaters als Hintergrund, in der Doris Lessing mit zwei Theaterstücken reüssierte, ohne je ganz heimisch darin zu werden; das Phänomen der psychischen Grenzerfahrung, der sich Doris Lessing, wie
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