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Schritte im Schatten (German Edition)

Schritte im Schatten (German Edition)

Titel: Schritte im Schatten (German Edition)
Autoren: Doris Lessing
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das neue Abwasserrohr genau an der Stelle verlegten, wo Hunde begraben worden seien, sechs Hunde seien dort begraben, und ich solle zusehen, dass die Knochen nicht in den Mülltonnen landeten, sonst werde die Polizei Fragen stellen. Und sie schleppte sich die Straße entlang und meine Treppe hinauf, auf ihren beiden Krücken, wegen ihrer schlimmen Beine, um an meine Tür zu klopfen, weil sie von dem Mann, der den Gemüseladen an der Ecke hatte, gehört hatte, dass er am nächsten Tag in Covent Garden einkaufen wollte, und er würde mir dieses ausgefallene Zeug mitbringen, nach dem ich ihn gefragt hatte. »War es Knoblauch? Laufen Sie schnell hin, und sagen Sie ihm, was Sie wollen; er wird es für mich tun.«
     
    Ein paar Tage vor dem vorgesehenen Umzugstag bekam ich »Deutsche Masern« – die Röteln. Aus irgendeinem Grund bringen »Deutsche Masern« die Leute zum Lachen. Ist es das Wort »Deutsch« in diesem Kontext? An welche seit Langem vergessene, wandernde Epidemie soll es erinnern? Angenommen, wir sagten »Peruanische Masern«? Auch da lauert ein Lächeln. (Italienische Masern? Russische Masern?) Masern sind in Ordnung, Mitgefühl ist angezeigt, aber »Deutsche Masern« sind komisch. Dies war das zweite Mal, dass ich sie bekam, beide Male ziemlich schwer, mit einem scheußlichen Ausschlag am ganzen Körper, hohem Fieber, Kopfschmerzen. Ich legte mich in einem abgedunkelten Zimmer ins Bett und wartete, nachdem ich die »Piraten« angerufen und ihnen gesagt hatte, sie sollten einfach weitermachen. Ich steckte tief in diesem elenden Ozean der Krankheit, als die Türglocke läutete. Fluchend taumelte ich zur Tür, und da stand eine junge Frau mit einem mürrischen Gesicht, zornigen Augen und einem Kleinkind in einem Kinderwagen, den sie diese Treppe hatte heraufschleppen müssen. Ich sagte, ich hätte Röteln und sei damit eine Gefahr für sie: Sie war schwanger. Es kümmerte sie nicht. Das obligatorische Lachen wurde von ihrem Zorn zu einer höhnischen Miene gedämpft. Sie sagte: »Ich bin wegen Geld gekommen. Sie sind reich und erfolgreich, und ich brauche es.« Ich sagte wahrheitsgemäß, dass ich im Augenblick sehr knapp bei Kasse sei. Sie sagte: »Kommen Sie mir nicht auf die Tour.« Mir ist selten jemand mehr zuwider gewesen. »Ich brauche das Geld für meine Kinder.« Sie wollte fünfhundert Pfund. Jedenfalls glaube ich es. Das Problem ist, dass der Geldwert sich geändert hat. Ich weiß nur noch, dass es so viel war, dass ich mein Konto noch weiter überziehen musste. Nur ein paar Wochen später bezahlte ich zehn Pfund für ein Bild, das ich einer Freundin schenken wollte, und war in Panik, weil ich es mir im Grunde nicht leisten konnte. Vielleicht waren es fünfzig Pfund gewesen oder hundert. Ich schrieb an den überaus reichen und berühmten Onkel dieser jungen Frau und fragte ihn, ob er vielleicht in Erwägung ziehen würde, mir das Geld zurückzuzahlen, aber er sagte, er sehe dazu keine Veranlassung.
    All das ist nicht so einfach, wie es scheinen mag.
    Im Dunkeln, mit tränenden Augen und sehr krank, dachte ich über bestimmte Tatsachen nach. Ich konnte nur schwer Nein sagen. Dafür gab es gute Gründe. Vor allem meine Eltern, die selbst in ihren ärmsten Zeiten, wie in der Bibel vorgeschrieben, zehn Prozent ihres Einkommens an Almosen gaben. Ich erinnere mich an Gespräche über diese zehn Prozent.
    Mein Vater, gereizt, lachend: »Aber wir haben überhaupt kein Einkommen. Wenn das Geld für die Ernte hereinkommt, geht es direkt an die Land Bank, zur Tilgung unserer Schulden.«
    Meine Mutter: »Nun ja, ich nehme an, wir könnten sagen, dass wir kein Einkommen haben, aber das würde bedeuten, dass wir nie etwas geben.«
    Sollte die Kriegsrente meines Vaters einbezogen werden, wenn sie diese zehn Prozent ausrechneten? Was war mit dem Geld, das sie für die Hühner und die Eier bekamen, die sie an den Laden in Banket verkauften?
    Sie gaben jedes Jahr Geld an die Liga für in Not geratene Damen, an einen Fonds für mittellose Seeleute und an einen für die Hinterbliebenen von Soldaten des Ersten Weltkriegs. Mir wurde gesagt, ich solle zehn Prozent von meinem Taschengeld spenden, von dem Geld, das ich mit den Perlhühnern verdiente, die ich zu dem Laden brachte, und von dem Geld, das ich mit dem Schreiben von Reklametexten verdiente. Ich fühlte mich permanent schuldig, weil ich das nicht tat; aber war ich nicht zu dem Schluss gelangt, dass es Gott nicht gab?
    Seit ich dem respektablen Leben der
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