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Schossgebete

Schossgebete

Titel: Schossgebete
Autoren: Charlotte Roche
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ergibt sich wortlos. Unsere Sexverständigung. Während ich bediene, achte ich immer darauf, dass ich mich auch irgendwo reiben kann, weil er ja sonst meilenweit voraus ist in seiner Geilheit und ich dann mühevoll hinterherhinke. Während ich meinem Kiefergelenk die Pause gönne und mit vollem Einsatz beider Hände die ganze verfügbare Haut auf- und abschiebe, sitze ich mit meiner Vagina breitbeinig auf seinem Oberschenkel und sau da alles ein. Wir steigern uns jedes Mal in einen richtigen Rausch rein, mich macht das sehr stolz, was ich so alles kann mit meinem Mann.
    Außer der Heizdecke muss aber für mich immer noch eine Maßnahme getroffen werden. Ich habe unglaubliche Angst, dass mich unsere Nachbarn beim Sex hören könnten. Also gehört es zum Vorspiel dazu, dass alle Türen und Fenster geschlossen sind. Nur dann kann ich absolut locker sein. Ganz selten ist es vorgekommen, dass ich mich auf meinen Mann verlassen habe und er doch ein Fenster vergessen hat. Wenn ich das nach dem ganzen Sexgeschrei feststelle, werde ich ganz rot vor Scham. Und es ist auch eine volle Belästigung für die Nachbarn. Für diese Einstellung werde ich ständig von meinem Mann verarscht. Therapeutisch betrachtet, ist es aber für ihn sehr einfach, diese Rolle einzunehmen, weil er sich ja drauf verlassen kann, dass ich die Verklemmte von uns beiden bin. Jeder nimmt die Rolle in der Partnerschaft ein, die noch frei ist. Ich belege die der Panischen, Zwanghaften, Schamhaften. Dann kann er der Lockere und Exhibitionistische sein. Ich achte ja für ihn darauf, dass ihn keiner hört. Ich schließe Fenster, Türen und Gardinen. Manchmal gehe ich im Dunkeln im Bademantel vors Haus, sage ihm, er soll sich auf dem Bett räkeln, mit Licht an, damit ich draußen testen kann, ob man reingucken kann. Manchmal kommen mir unsere Gardinen nämlich zu dünn vor. Sie sind aus Kravattenseide, braunes Paisleymuster.
    Im Winter reicht uns manchmal die Heizecke nicht aus, sodass wir als zusätzliche Wärmequelle in unserem Kellerloch seine Infrarot-Rückenschmerz-Lampe nehmen, ein ganz großes, breites, teures Modell. Und wenn wir dann so rot angeleuchtet werden wie in einem Schaufenster in Amsterdam, mache ich mir sehr große Sorgen, dass die Seidengardine für Vorbeigehende zwei schwitzende, ineinander verkeilte Köper preisgibt. Er weiß, dass ich einen Ratsch im Kappes habe, wie wir sagen. Ich muss von draußen kontrollieren, ob man uns bei diesen Lichtverhältnissen sehen kann. Wie oft im Leben ich schon festgestellt habe, dass Menschen sich offensichtlich gar keine Gedanken machen, was deren 100-Watt-Birne für Schattenspiele an die Fenster wirft. Ein gesunder Mensch würde sich ja eventuell freuen, einer Frau dabei zugucken zu dürfen, wie sie sich entkleidet. Ich denke nur: O Gott, das darf mir nicht passieren, das muss ich auf jeden Fall für mich ausschließen.
    Ich befriedige also grade meinen Mann. Es kann vorkommen, dass er minutenlang daliegt und alles geschehen lässt. Meistens liegt er auf dem Rücken, weil er seit vielen Jahren Rückenschmerzen hat und ich somit auch, denn ich kann mich in meinen Mann so gut reinfühlen, dass ich davon auch Rückenschmerzen kriege. Er hasst es, vor mir schwach zu sein. Wir sind auch nur zusammen, weil ich mir ausgedacht habe, dass er irrsinnig stark ist. Wenn ich ihn täglich frage: »Wie geht’s deinem Rücken?«, kastriere ich ihn. Aber ich will doch höflich sein. Will zeigen, dass ich Anteil nehme. Das ist ein Problem, das auftauchen kann, wenn man mit Älteren zusammen ist. Es geht nicht um mein Verhalten, sondern darum, dass er es so schlimm findet, an meiner Seite Rückenschmerzen zu haben.
    Dass er einfach so daliegt, ist, glaube ich, für ihn auch neu. Früher hatte er immer Frauen, die er bis zum Abwinken bedienen musste, und dann blieb nicht mehr viel für ihn übrig. Na, vielen Dank, liebe Frauenbewegung! So war das doch auch nicht gedacht. Dass nur noch die Frauen kommen und die Männer gucken müssen, wo sie bleiben. Er liebt es, wenn ich seine Sexdienerin bin. Ich wiederhole alles, was ich kann und gerade beschrieben habe, mal in schnellem und dann in langsamem Rhythmus. Ich muss gar nicht mehr nachdenken, alles geht wie von allein, wie auf Droge.
    Wenn wir mitten dabei sind, vergesse ich Zeit und Raum. Das ist der einzige Moment am Tag, an dem ich abschalten kann. Ich glaube wirklich, dass es eher am Atmen als am Sex an sich liegt, aber vielleicht auch an beidem. Im Gegensatz zu dem, was
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