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Schokolade für dich (German Edition)

Schokolade für dich (German Edition)

Titel: Schokolade für dich (German Edition)
Autoren: Sheila Roberts
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hatten das Bett immer ziemlich mit Beschlag belegt, vor allem Waldo. Er hatte nicht nur diagonal im Bett geschlafen, sondern auch die Decke jedes Mal, wenn er sich umgedreht hatte, wie eine große Ebbe mit sich gezogen. Es hattesie immer unglaublich geärgert. Jetzt gab es keine Ebbe mehr.
    Tränen schossen ihr in die Augen. Es war erstaunlich, dass nach all den Tränen, die sie in der letzten Woche schon vergossen hatte, überhaupt noch welche übrig waren. Sie wischte sie weg und griff entschlossen nach dem Teebecher, um einen Schluck zu trinken. „Du kannst nicht einfach den ganzen Tag im Bett bleiben“, ermahnte sie sich.
    Nur um sofort zu argumentieren: „Warum nicht?“ Wen interessierte es, ob sie im Bett blieb oder aufstand?
    Sie war wieder allein.
    Oh, hör auf, schalt sie sich. Waldos plötzlicher Tod war eine Erlösung. Hättest du gewollt, dass er lange leidet?
    Die Antwort lautete natürlich nein.
    Nachdem sie sich damit wieder beruhigt hatte (zumindest für heute), trank sie noch einen Schluck Tee und schaute sich im Zimmer um wie ein Pionier, der neues Territorium erkundet. Was konnte man mit diesem neuen Territorium tun? Wo sollte sie anfangen?
    Normalerweise würde sie um zehn Uhr morgens schon eifrig an ihrem nächsten Buch für Mountain Crest Publications arbeiten, einem kleinen Verlag an der pazifischen Nordwestküste. Sie hatte mit dem Schreiben nicht viel Geld verdient, aber es machte ihr Spaß. Im Moment hatte die Sache jedoch ihren Reiz verloren, jetzt, wo sie wieder in dieses tiefe Loch gefallen war.
    Die Monate, nachdem Stephen gestorben war, waren ein einziger Albtraum gewesen, noch viel schlimmer als der Verlust ihrer Eltern, obwohl sie geglaubt hatte, dass nichts furchtbarer sein könnte. Verwitwet zu sein bedeutete nicht nur Einsamkeit. Man verlor damit im wahrsten Sinne des Wortes seine bessere Hälfte.
    Das jetzt zum zweiten Mal zu erleben überstieg eindeutig ihre Kräfte. Das Einzige, wozu sie fähig war, war, wie ein Geist durchs Haus zu schleichen. Da es niemanden mehr gab, für den sie hätte kochen können, hatte sie kein Interesse an Essen, nicht einmal an Schokolade, dem Herzblut der Familie. Sich um Waldos Trauerfeier zu kümmern war eine einzige Qual gewesen.
    An seinem Schreibtisch vorbeizugehen und all die Rechnungen dort zu sehen machte ihr entsetzliche Angst. Sie konnte nicht besonders gut mit Geld umgehen, und Mathe war ein Buch mit sieben Siegeln, das sie bisher nie hatte öffnen müssen. Schließlich hatte sie Stephen gehabt. Als er gestorben war, hatte nur die geduldige Hilfe von Arnie in der Cascade Mutual Bank sie davon abgehalten, sich (oder zumindest ihr Scheckbuch) vom Berg Sleeping Lady zu werfen.
    Als Waldo wie ein Ritter auf einem weißen Pferd in ihrem Leben aufgetaucht war, hatte sie erleichtert aufgeseufzt. Aber er hatte sich als Don Quichotte entpuppt, und so war sie jetzt wieder hier, einsam und verloren. Warum ausgerechnet Waldo? Er war so süß gewesen, und alle – vor allem natürlich sie – hatten sein Lachen geliebt. Ohne ihn war dieses Haus wie eine Gruft, und sie fühlte sich wie betäubt. Und das Buch, an dem sie gearbeitet hatte, war genauso gestorben wie ihr Ehemann.
    Muriels Lektorin hatte ihr vorgeschlagen, noch mehr als in ihren vorherigen Büchern Kapital aus den Verbindungen zur Schokoladenindustrie zu schlagen, und sie gedrängt, ein Kochbuch mit Schokoladenrezepten herauszubringen. Das hatte sie nicht gewollt. Weil sie mit Waldo so glücklich gewesen war, hatte sie angefangen, darüber zu schreiben, wie es war, wenn man noch einmal ganz von vorn begann. Doch darüber konnte sie jetzt nicht mehr schreiben. Sie konnte überhaupt nicht mehr schreiben. Punkt.
    Sie stellte den Becher auf den Nachttisch und schlüpfte unter die Decke. In ihre Daunendecke gehüllt, schlief sie langsam ein und fand in ihren Träumen Waldo.
    Aber er war nicht der Einzige, der ihr in ihren Träumen Gesellschaft leistete. Auch Stephen hatte seinen Auftritt, und auf einmal waren sie alle bei einer Tanzveranstaltung in der Festival Hall, in folkloristische deutsche Tracht gekleidet.
    Sie hatte gerade mit Stephen getanzt, der in seinen Lederhosen umwerfend aussah, und jetzt entführte Waldo sie zu einer wunderbar wilden Polka. „Komm schon, Muriel, altes Mädchen, lass uns Spaß haben. Das Leben ist kurz.“
    Plötzlich flogen die Türen zum Saal auf, und ein schwarzer Tornado kam hereingefegt, riss Muriel von den Füßen und trennte sie von Waldo.
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