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Schönes Chaos: Mein wundersames Leben (German Edition)

Schönes Chaos: Mein wundersames Leben (German Edition)

Titel: Schönes Chaos: Mein wundersames Leben (German Edition)
Autoren: Benoît B. Mandelbrot
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verwandelt – auf jene Weise, die Kepler als Erster anwandte, als er zeigte, dass die Umlaufbahnen der Planeten auf Ellipsen passten, die zum Spielzeug der griechischen Antike gehört hatten.
    Rauheit ist in der Natur und der Kultur überall vorhanden. Beispiele für Rauheit finden sich in der Verteilung von Galaxien und in den Formen von Küstenlinien, Bergen, Wolken, Bäumen und den verschiedene Lungengängen; ebenso in Kurstabellen für Aktien, in Gemälden, Musik und mehreren mathematischen Konstruktionen (bekannten und jenen, die ich in die Welt gesetzt habe). Weniger bekannt, aber für Spezialisten einer Erwähnung wert: die Rauheit von Clustern in der Physik der Unordnung, in turbulenten Strömungen, chaotischen dynamischen Systemen und abnormen Diffusionen und Geräuschen. Sie waren typisch für die vielen Gegenstände, die ich untersucht habe.
    Ebenso wie glatte, durch den idealen Kreis repräsentierte Formen sind mathematische Fraktale durch absolut präzise Formeln beschrieben, die der Computer beliebig angenähert durch sehr konkrete Objekte – Bilder – umsetzen kann. Jedes Bild führte mich zu speziellen Einsichten und in ein besonderes Gebiet der Wissenschaft und der Kunst. Manche Bilder hatten, wie sich zeigte, profunde und dauerhafte Auswirkungen und wurden von einigen stark darauf fokussierten Forschern untersucht.
    Die Abbildungen in diesem Schlusskapitel sind in mehrfacher Hinsicht vielfältig. Doch sie wurden nicht nur gezeichnet, um hübsch auszusehen, sondern um allen möglichen Zwecken in allen Arten von Wissenschaft zu dienen. Deshalb scheinen einige realistisch zu sein und uns an natürliche Formen zu erinnern. Ein allen gemeinsames Merkmal ist, dass es sich um rein mathematische Konstruktionen handelt, die mithilfe passend gewählter einfacher Formeln mit dem Computer gezeichnet wurden. Diese Formeln teilen sich die entscheidende Eigenschaft der Rauheit, die ich mein ganzes aktives Leben lang von allen Seiten her untersucht habe. Sie veranlassten mich, weit und breit durch die Naturwissenschaften zu reisen. Wenn man mich fragt, was ich mache, nenne ich mich – ich habe gelernt, eine sehr kurze Antwort zu bevorzugen – einen Fraktalisten.
    Um die Natur der Fraktale schätzen zu können, sollte man sich Galileis berühmtes Manifest von 1632 in Erinnerung rufen:
    [Das Buch der Natur] ist in der Sprache der Mathematik geschrieben, und deren Buchstaben sind Dreiecke, Kreise und andere geometrische Figuren, ohne die … man durch ein dunkles Labyrinth irrt.
    Es fällt auf, dass Kreise, Ellipsen und Parabeln sehr glatte Formen darstellen und dass ein Dreieck eine kleine Zahl von Punkten der Irregularität besitzt. Als ich ein junger Mann war, galt meine Liebe diesen Formen, aber in der Wildnis sind sie sehr selten. Galilei hatte absolut recht, als er behauptete, diese Formen seien in der Naturwissenschaft notwendig. Doch es hat sich gezeigt, dass sie nicht ausreichen, »einfach« deswegen, weil sich der größte Teil der Welt durch unendlich große Rauheit und Komplexität auszeichnet. Dennoch umschließt das unendliche Meer der Komplexität zwei Inseln: eine der euklidischen Einfachheit und eine zweite von relativer Einfachheit, in der Rauheit vorhanden, aber in allen Größenordnungen gleich ist.

© Benoît B. Mandelbrot Archives

    Der Blumenkohl ist das Standardbeispiel für Formen, die auf allen Skalen mehr oder weniger gleich zu sein scheinen. Ein Blick zeigt, dass er aus »Röschen« zusammengesetzt ist. Ein einzelnes Röschen, das man nach Entfernung aller übrigen näher untersucht, sieht wiederum wie ein kleiner Blumenkohl aus. Wenn man erneut von diesem Röschen alles außer dem Röschen eines Röschens abschneidet – dabei muss man sehr schnell zur Lupe greifen –, so bleibt wiederum ein Blumenkohl zurück. Ein Blumenkohl zeigt, wie ein Objekt aus vielen Teilen bestehen kann, die jeweils wie ein Ganzes aussehen, nur dass sie kleiner sind. Viele Pflanzen entsprechen diesem Muster. Ein weiteres Beispiel ist die Wolke. Eine Wolke besteht aus Bäuschchen über Bäuschchen über Bäuschchen, die wie Wolken aussehen. Nähert man sich einer Wolke, erhält man nicht etwas Glattes, sondern Unregelmäßigkeiten auf einer kleineren Skala.
    Ich behaupte weder, dass alles, was nicht glatt und kontinuierlich verläuft, fraktal ist, noch dass Fraktale ausreichen, jedes Problem der Wissenschaft zu lösen. Ich behaupte allerdings mit größtem Nachdruck, dass ein realer Gegenstand, der als nicht
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