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Schöne neue Welt

Schöne neue Welt

Titel: Schöne neue Welt
Autoren: Aldous Huxley
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nicht den Menschen?« fragte der Wilde empört. »Warum geben Sie ihnen nicht diese Bücher über Gott?«
    »Aus dem gleichen Grund, warum wir ihnen nicht ›Othello ‹ geben. Weil sie alt sind. Sie handeln davon, wie Gott vor Hunderten von Jahren war, nicht, wie er heute ist.«
    »Gott ändert sich doch nicht.«
    »Aber die Menschheit.«
    »Macht das einen Unterschied?«
    »Den allergrößten«, sagte der Weltaufsichtsrat. Er stand noch einmal auf und trat an den Tresor. »Es war einmal ein Mann, der hieß Kardinal Newman«, begann er. »Ein Kardinal«, erklärte er nebenbei, »war so etwas wie ein Erzchormeister.«
    »Ich, Pandulph, Kardinal des schönen Mailand.«
    »Über solche Leute habe ich bei Shakespeare gelesen.«
    »Natürlich. Wie gesagt, ein gewisser Kardinal Newman.
    Ah, hier ist das Buch!« Er zog es hervor. »Und wenn ich schon dabei bin, kann ich auch gleich dieses da herausnehmen. Verfaßt von einem Mann namens Maine de Biran. Ein Philosoph, wenn Sie wissen, was das ist.«
    »Ein Mann, der sich weniger Dinge träumen läßt, als es im Himmel und auf Erden gibt«, antwortete der Wilde prompt.
    »Stimmt. Ich werde Ihnen nachher etwas davon vorlesen, was er sich einen Augenblick lang träumen ließ. Inzwischen hören Sie einmal, was dieser alte Erzchormeister sagt.« Er öffnete das Buch bei einer mit einem Papierstreifen markierten Seite und las vor: »›Wir gehören ebensowenig uns selbst, wie unsre Habe uns gehört. Wir haben uns nicht selber erschaffen, wir können nicht uns selbst überlegen sein. Wir sind nicht Herr über uns. Wir sind Gottes Eigentum. Liegt nicht eben darin unser Glück, die Sache so zu betrachten? Liegt Glück oder auch nur der leiseste Trost in der Annahme, daß wir uns gehören? Die Jungen und Erfolgreichen denken vielleicht so. Ihnen mag es als etwas Großes erscheinen, daß alles, wie sie glauben, nach ihrem Kopf geht; daß sie von niemand abhängen, daß sie es nicht nötig haben, an etwas, das sie nicht vor Augen haben, zu denken, und von dem lästigen Zwang befreit sind, immerdar die Bestätigung andrer einzuholen, immerdar zu beten und ihr Tun ständig mit dem Willen eines ändern in Einklang bringen zu müssen. Allein mit der Zeit erkennen sie gleich allen Menschen, daß Unabhängigkeit nichts für Menschen ist, daß sie ein unnatürlicher Zustand ist, mit dem man eine Weile auskommt, daß sie uns aber nicht heil bis ans Ende geleitet... « Mustafa Mannesmann hielt inne, legte das eine Buch zur Seite, nahm das andere zur Hand und blätterte darin. »Hören Sie sich zum Beispiel das an«, sagte er und begann mit seiner tiefen Stimme wieder zu lesen: »Ein Mensch wird alt, er ve rspürt in seinem tiefsten Innern die Schwäche, die Unlust und das Unbehagen, die mit fortschreitendem Alter Hand in Hand gehn. Und wenn der Mensch das spürt, bildet er sich ein, er sei nur krank, schläfert seine Befürchtungen durch den Glauben ein, daß sein kläglicher Zustand einen besonderen Grund habe, von dem er sich, wie von einer Krankheit, zu erholen hofft.
    Trügerische Einbildungen! Seine Krankheit heißt Alter und ist ein furchtbares Leiden. Man sagt, Furcht vor dem Tod und dem, was nach dem Tod kommt, führe die Menschen der Religion in die Arme, sobald sie älter werden.
    Aber meine eigne Erfahrung hat mich überzeugt, daß das religiöse Gefühl - ganz unabhängig von solchen Schrecknissen und Einbildungen - sich immer mehr entwickelt, je älter wir werden, und zwar, weil die Leidenschaften sich beruhigen, weil Phantasie und Sinne weniger erregt und erregbar sind und dadurch unser Verstand weniger verworren arbeitet, von Phantasiebildern, Wünschen und Zerstreuungen, in denen er sich früher verlor, weniger verdunkelt wird. Und da tritt Gott wie hinter einer Wolke hervor. Unsere Seele fühlt und sieht den Urquell alles Lichts und wendet sich ihm zu, aus natürlichem Trieb und unvermeidlich, denn nun, da alles, was der Sinnenwelt Leben und Zauber verlieh, uns entgleitet, nun, da unser Dasein in der Welt der Erscheinungen nicht länger durch innere oder äußere Eindrücke gestützt ist, fühlen wir das Bedürfnis, uns an etwas Bleibendes zu lehnen, das uns niemals betrügt - an eine Wirklichkeit, eine unbedingte, unvergängliche Wahrheit. Ja, unvermeidlich wenden wir uns zu Gott, denn das religiöse Gefühl ist seinem ganzen Wesen nach so rein, so köstlich für die Seele, die es erlebt, daß es uns für alle ändern Verluste entschädigt.« Mustafa Mannesmann schloß das Buch
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