Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Schöne neue Welt

Schöne neue Welt

Titel: Schöne neue Welt
Autoren: Aldous Huxley
Vom Netzwerk:
sie sich selbst. Das Ergebnis entsprach haargenau den theoretischen Voraussagen. Der Boden wurde nicht ordentlich bestellt, in den Fabriken gab es Streiks, die Gesetze wurden mißachtet, Befehle nicht befolgt, alle die, die für einige Zeit untergeordnete Arbeiten verrichten mußten, intrigierten unablässig um höhere Posten, und die Höhergestellten spannen Gegenintrigen, damit sie um jeden Preis auf ihren Plätzen bleiben konnten. Binnen sechs Jahren gab es einen prima Bürgerkrieg. Als neunzehntausend von den zweiundzwanzigtausend Alphas gefallen waren, richteten die Überlebenden geschlossen eine Eingabe an den Weltaufsichtsrat, die Regierungsgewalt über die Insel wieder zu übernehmen. Was auch geschah. So endete die einzige Alphagesellschaft der Welt.«
    Der Wilde seufzte auf.
    »Die beste Gesellschaftsordnung«, sagte Mustafa Mannesmann, »nimmt sich den Eisberg zum Muster: acht Neuntel unter der Wasserlinie, ein Neuntel darüber.«
    »Und sind die unter der Wasserlinie glücklich?«
    »Glücklicher als die darüber. Glücklicher als etwa Ihre Freunde hier.« Der WAR wies auf Sigmund und Helmholtz.
    »Trotz ihrer furchtbaren Arbeit?«
    »Furchtbar? Die finden sie gar nicht furchtbar. Im Gegenteil, sie haben sie gern. Sie ist leicht, kinderleicht, strengt weder Geist noch Körper an. Siebeneinhalb Stunden leichter, nicht ermüdender Arbeit, dann die Somaration, Sport, uneingeschränktes Sexualleben und Fühlfilme. Was können sie mehr verlangen? Natürlich«, ergänzte er, »könnten sie kürzere Arbeitszeit fordern, und wir könnten die ohne weiteres bewilligen. Technisch wäre es ganz einfach, die Arbeitszeit der niederen Kasten auf drei oder vier Stunden am Tag herabzusetzen. Aber wären sie dann glücklicher? Nein! Das Experiment wurde vor mehr als hundertfünfzig Jahren unternommen. Ganz Irland erhielt den Vierstundentag. Ergebnis? Unruhen und gewaltig steigender Somaverbrauch, sonst nichts. Diese dreieinhalb Stunden zusätzlicher Muße waren so wenig ein Quell des Glücks, daß die Menschen sich mittels Soma von ihnen beurlauben mußten. Das Erfindungsamt ist vollgepfropft mit Entwürfen für arbeitsparende Einrichtungen. Mit Tausenden«, setzte er mit weit ausholender Gebärde hinzu. »Und warum führen wir sie nicht aus? Der Arbeiter wegen. Es wäre einfach grausam, ihnen allzuviel Muße aufzubürden. Nicht anders verhält es sich mit der Landwirtschaft. Wir könnten jeden Bissen, den wir essen, künstlich herstellen, wenn wir wollten.
    Aber wir tun es nicht. Wir ziehen es vor, ein Drittel der Bevölkerung auf dem Land zu halten. In ihrem eigenen Interesse - weil es länger dauert, dem Boden die Nahrung abzugewinnen als einer Fabrik. Außerdem müssen wir an die Beständigkeit denken. Wir wünschen keine Änderung. Jede Änderung ist eine Bedrohung für die Stabilität. Das ist auch ein Grund, warum wir so zurückhaltend bei der Verwendung von Erfindungen sind. Jede rein wissenschaftliche Entdeckung kann möglicherweise den Umsturz bewirken. Sogar die Wissenschaft muß manchmal als möglicher Feind behandelt werden. Ja, auch die Wissenschaft!«
    Wissenschaft? Der Wilde runzelte die Stirn. Er kannte das Wort, vermochte aber nicht genau zu sagen, was es bedeutete. Shakespeare und die Greise im Pueblo hatten nie von Wissenschaft gesprochen, und Filine hatte ihm nur sehr verschwommene Andeutungen gemacht: Wissenschaft war etwas, mittels dessen man Helikopter machte; etwas, das einen über die Erntetänze lachen ließ; ein Mittel gegen Runzeln und Zahnausfall. Verzweifelt strengte er sich an, die Worte des Aufsichtsrats zu begreifen.
    »Ja«, sagte Mustafa Mannesmann, »auch das geht auf das Konto der Beständigkeit. Nicht nur die Kunst ist mit Glück unvereinbar, auch die Wissenschaft. Wissenschaft ist gefährlich; wir müssen ihr Kette und Maulkorb anlegen.«
    »Wie? Was?« fragte Helmholtz erstaunt. »Wir behaupten doch stets, es gehe nichts über die Wissenschaft? Das ist eine Schlafschulweisheit.«
    »Dreimal wöchentlich vom dreizehnten bis siebzehnten Lebensjahr«, warf Sigmund ein.
    »Und die viele Propaganda für Wissenschaft an unserer Hochschule -«
    »Ja, aber für was für eine Wissenschaft?« fragte der WAR höhnisch. »Ihnen fehlt die wissenschaftliche Vorbildung, daher können Sie es nicht beurteilen. Ich war zu meiner Zeit ein recht tüchtiger Physiker. Zu tüchtig sogar, jedenfalls tüchtig genug, um in unserer ganzen Wissenschaft nicht mehr als ein Kochbuch zu erblicken, dessen strenge
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher