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SCHÖN!

SCHÖN!

Titel: SCHÖN!
Autoren: Rebekka Reinhard
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oder in Anspruch zu nehmen, nimmt es in Kauf, hässlich zu bleiben. Mehr noch: Wer sich als unwillig erweist, an der eigenen Schönheit zu arbeiten, sein Haar aufhellen zu lassen und die überflüssigen Kilos abzu trainieren, verhält sich überdies unmoralisch. Denn er – oder vielmehr sie – verzichtet darauf, sein wahres, gutes, eigentliches »Ich« zum Vorschein zu bringen. Sie lässt es unter einer mehr oder weniger dicken Fettschicht einfach ersticken. Selbst schuld, wenn sie Komplexe hat. So gesehen sind die hysterischen Heulkrämpfe gescheiterter Topmodel -Kandidatinnen durchaus berechtigt. Sie machen überdeutlich, was in dieser Welt sowieso längst selbstverständlich ist: der Glaube, gutes Aussehen sei das Ticket zu einem guten Selbstwertgefühl. Und folglich zu einem guten Leben insgesamt.
    Der Verinnerlichung dieses Glaubens gehen zumeist massive Schockerlebnisse voraus. Typisch ist der Schock, den moderne Frauen erleiden, wenn die Schwiegermutter ihnen ungefragt ein Serum schenkt. Ein Serum! Was nur ein Zeichen dafür sein kann, dass eine Creme nicht mehr ausreicht, um der weit fortgeschrittenen Faltenbildung Einhalt zu gebieten, dass die Haut mit einer extrahohen Wirkstoffkonzentration penetriert werden muss, um sie zu retten. Ein böses Erwachen kann es auch dann geben, wenn Frauen – nur zum Spaß – gemeinsam eine Kosmetikabteilung aufsuchen. Plötzlich findet sich eine von ihnen auf einem lederbezogenen Hocker wieder, plötzlich stochert ihr eine sogenannte Beautyexpertin mit einem sogenannten Concealer im Gesicht herum und ruft alle drei Sekunden eksta tisch: »Viel besser!« Während die Freundin jauchzend einstimmt: » Wirklich viel besser!« Was natürlich nur bedeuten kann: Erkenne, dass es an der Zeit ist, deine hässlichen Augenringe mit einer beigen Paste zu bedecken!
    Solche und ähnliche Episoden können eine tiefe Verunsicherung auslösen, die weder durch teure Kosmetika noch durch sportliche und diätetische Maßnahmen rückgängig zu machen ist. Kein Wunder, dass immer mehr Frauen zu härteren Me tho den greifen: Schönheits-OPs. Warum auch nicht? Solche Praktiken haben schließlich eine lange Tradition. Im alten China brachen Frauen ihren Töchtern die Fußkochen, banden die Füßchen und ließen sie verfaulen, bis sie die ideale »Lotus«-Form erreicht hatten (etwa Schuhgröße 19 ), um die Anerkennung des künftigen Bräutigams zu sichern. Im modernen Deutschland brechen Chirurgen ihren Patientinnen die Nase, bleichen ihre Zähne, saugen ihnen am Gesäß Fett ab, setzen es im Gesicht wieder ein und spritzen ihnen Nervengift, um ihr Selbstwertgefühl zu stabilisieren. Der Unterschied ist gar nicht so groß. Schönheit ist machbar, und was machbar ist, wird gemacht.
    NARZISSMUS : Die klinische Diagnose »narzisstische Persönlichkeitsstörung« beschreibt einen Menschen, dessen Selbstwertempfinden zwischen Größenwahn und Minderwertigkeits gefühlen hin und her schwankt. Der Narzisst ist extrem selbstbezogen, lebt in ständiger Sorge um sein Aussehen, sein Ansehen und seinen Wohlstand. Er tut alles, um die Bewunderung und Anerkennung anderer zu bekommen, bemüht sich um ausgezeichnete Leistungen, erkämpft sich einflussreiche Positionen, schafft Abhängigkeiten. Und er ist stark eingenommen von Fantasien grenzenlosen Erfolgs, grenzenloser Liebe und grenzenloser Schönheit.
    Narzissmus bezeichnet aber nicht nur das pathologische Verhalten Einzelner, sondern auch eine psychokulturelle Epidemie, die, ausgehend vom Land der unbegrenzten Möglichkeiten, den ganzen Globus erfasst hat. Der Kult um das eigene Selbst, das nie perfekt genug sein kann, das endlos verbessert, therapiert und operiert werden will, boomt von Berlin bis Tokio. Wozu die öde Realität, wenn es sich mit Fantasien so viel besser leben lässt? Mit dem Unterschied zwischen Sein und Schein muss man es ja nicht so genau nehmen. Angesichts satter Wachstumsbilanzen sind ein paar Trillionen Staatsschulden völlig unerheblich. Alles ist möglich. Wozu ewig auf das Eigenheim sparen, wenn man durch einen günstigen Kredit sofort den Hausbesitzer geben kann? Wozu sich die Mühe machen, eine Doktorarbeit selbst zu schreiben? Hauptsache: Exzellenz! Heute kann jedes Kind ein Superstar sein und jede Frau ein Topmodel. Wo ein Wille ist, ist auch ein Weg.
    Die besten Beispiele für den Siegeszug des Narzissmus sind Menschen wie Boris Becker, David Beckham (s. Kap. 2 ) oder Paris Hilton: »Celebrities«, die weniger aufgrund ihrer
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