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Schneewittchen muss sterben

Schneewittchen muss sterben

Titel: Schneewittchen muss sterben
Autoren: Nele Neuhaus
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Dachdeckermeister Udo Pietsch und seine Kumpels immer einen blöden Spruch parat, der auf ihr ungewöhnliches Äußeres abzielte, aber heute hätte Amelie wahrscheinlich nackt bedienen können, und man hätte sie nicht beachtet. Die Stimmung war so angespannt wie sonst höchstens bei der Übertragung eines Champions-League-Spieles. Amelie spitzte neugierig die Ohren, als sich Gerda Pietsch nun zum Nachbartisch hinüberbeugte, an dem die Richters saßen, die den Lebensmittelladen auf der Hauptstraße betrieben.
    »… habe gesehen, wie er gekommen ist«, erzählte Margot Richter gerade. »So eine Unverschämtheit, hier wieder aufzutauchen, als war nix gewesen!«
    Amelie ging zurück zur Küche. An der Essensausgabe wartete Roswitha auf das Rumpsteak für Fritz Unger an Tisch 4, medium, mit Zwiebeln und Kräuterbutter.
    »Was ist denn hier heute Abend eigentlich für ein Aufruhr?«, fragte Amelie die ältere Kollegin, die einen ihrer Gesundheitslatschen abgestreift hatte und sich unauffällig mit dem rechten Fuß die Krampfadern an der linken Wade rieb. Roswitha blickte sich zu ihrer Chefin um, die aber zu sehr mit den zahlreichen Getränkebestellungen beschäftigt war, als dass sie sich um ihr Personal kümmern konnte.
    »Ei, der Bub vom Sartorius is heude aus'm Knast gekomme«, verriet Roswitha mit gesenkter Stimme. »Zehn Jahr hat der gesesse, weil er doch damals die zwaa Mädsche umgebracht hat!«
    »Ach!« Amelie riss erstaunt die Augen auf. Sie kannte Hartmut Sartorius flüchtig, der allein auf seinem riesigen, verlotterten Hof unterhalb ihres Hauses wohnte, aber sie hatte nichts von einem Sohn gewusst.
    »Ja.« Roswitha nickte mit dem Kopf Richtung Tresen, an dem Schreinermeister Manfred Wagner mit glasigen Augen vor sich hin stierte, in der Hand das zehnte oder elfte Glas Bier an diesem Abend. Normalerweise brauchte er zwei Stunden länger für dieses Pensum. »Dem Manfred sei Tochter, die Laura, die hat er umgebracht, der Tobias. Un die klaa Schneeberger. Bis heut hat er net verrade, was er mit dene gemacht hat.«
    »Einmal Rumpsteak mit Kräuterbutter und Zwiebeln!« Kurt, der Beikoch, schob den Teller durch die Durchreiche, Roswitha schlüpfte in ihre Latschen und manövrierte ihre Leibesfülle geschickt durch den vollbesetzten Gastraum zu Tisch 4. Tobias Sartorius – Amelie hatte den Namen noch nie gehört. Sie war erst vor einem halben Jahr aus Berlin nach Altenhain gekommen, und das nicht freiwillig. Das Dorf und seine Bewohner interessierte sie so viel wie ein Sack Reis in China, und wäre sie nicht durch den Chef ihres Vaters an den Job im Schwarzen Ross gekommen, würde sie hier immer noch niemanden kennen.
    »Drei Weizenbier, eine kleine Cola light«, rief Jenny Jagielski, die junge Chefin, die für die Getränke zuständig war. Amelie schnappte ein Tablett, stellte die Gläser darauf und warf einen kurzen Blick auf Manfred Wagner. Seine Tochter war vom Sohn von Hartmut Sartorius
ermordet
worden! Das war ja richtig spannend. Im langweiligsten Dorf der Welt taten sich ungeahnte Abgründe auf. Sie lud die drei Weizenbier an dem Tisch ab, an dem Jenny Jagielskis Bruder Jörg Richter mit zwei anderen Männern saß. Eigentlich sollte er an Jennys Stelle hinterm Tresen stehen, aber er tat nur selten das, was er tun sollte. Schon gar nicht, wenn der Chef, Jennys Mann, nicht da war. Die Cola light kam zu Frau Unger an Tisch 4. Ein kurzer Boxenstopp in der Küche. Alle Gäste waren mit Essen versorgt, und Roswitha hatte bei einer weiteren Runde durch den Gastraum neue Details in Erfahrung gebracht, die sie nun mit glühenden Wangen und bebendem Busen vor ihrer neugierigen Zuhörerschaft zum Besten gab. Außer Amelie spitzten Kurt und Achim, die Beiköche, und Wolfgang, der Küchenchef, die Ohren. Der Lebensmittelladen von Margot Richter – zu Amelies Verwunderung hieß es in Altenhain immer ›wir gehen bei die Margot‹, obwohl der Laden genau genommen ihrem Mann gehörte – lag schräg gegenüber vom ehemaligen Goldenen Hahn, und so waren Margot und die Friseurin Inge Dombrowski, die sich gerade zu einem Schwätzchen im Laden aufgehalten hatte, am Nachmittag Augenzeugen der Rückkehr von
diesem Kerl
geworden. Er war aus einem silbernen Luxusauto ausgestiegen und auf den Hof seiner Eltern gegangen.
    »Des is schon 'ne Freschheit«, regte Roswitha sich auf. »Die Mädels sin tot, und der Kerl taucht hier wieder auf, als war nix gewese!«
    »Ei, wo soller denn aach hiegehe?«, bemerkte Wolfgang nachsichtig
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