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Schneetreiben: Ein Fall für Heller und Verhoeven (German Edition)

Schneetreiben: Ein Fall für Heller und Verhoeven (German Edition)

Titel: Schneetreiben: Ein Fall für Heller und Verhoeven (German Edition)
Autoren: Silvia Roth
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gegenüber sogar angedeutet. Immerhin hatte er sie ja irgendwie dazu bringen müssen, dass sie tat, worum er sie hatte bitten müssen. Aber es war nicht zu ändern, sie kapierte es einfach nicht!
    Na ja, dachte er, vielleicht ist das auch besser so …
    Hinter ihm knackte ein Zweig, aber er drehte sich nicht um. Stattdessen glitt sein Blick über noch mehr alten Marmor. Verwitterte Namen.
Benson. Neidhardt. Krux.
    Der Friedhof war klein und selbst bei Tag nicht besonders hell. Aber daran hatte Ackermann gedacht. Er spürte das beruhigende Gewicht der Taschenlampe in seiner Manteltasche. Auf eine Waffe hatte er hingegen ganz bewusst verzichtet, auch wenn es nach sechs Jahren Knast ein Kinderspiel gewesen wäre, sich eine zu besorgen. Aber er hatte kein Risiko eingehen wollen. Die Behörden durften ihn auf gar keinen Fall noch einmal drankriegen, und manchmal genügte es ja schon, unverschuldet in irgendeinen banalen Unfall verwickelt zu werden, um von jetzt auf gleich wieder im Gefängnis zu sitzen. Und das war wirklich das Einzige, was ihm nicht passieren durfte!
    Die Jahre hinter Gittern hatten ihm gehörig zugesetzt. Weit mehr, als er jemals gedacht hätte. Sie hatten die beunruhigende Erkenntnis gebracht, dass alles, was war, einer engen Begrenzung unterlag. Der Raum genauso wie die Zeit. Lebenszeit. Zukunft. Inzwischen war Ackermann davon überzeugt, dass ihn ein einziger weiterer Tag in Haft auf der Stelle umbringen würde.
    Aber ganz abgesehen davon glaubte er auch nicht, dass er eine Waffe brauchen würde. Seine Position war unanfechtbar und das Gespräch alles in allem auch erstaunlich unkompliziert verlaufen. Einzig, warum die Sache ausgerechnet hier, auf diesem gottverlassenen Friedhof, über die Bühne gehen sollte, war ihm nicht ganz klar. Kontrollzwang, wahrscheinlich. Noch immer. Er schüttelte den Kopf. Er hatte viel gelernt in den paar Jahren vor seiner Festnahme. Vor allem, dass man niemanden unterschätzen durfte. Alt, verrückt, hinfällig, gelähmt … All das waren Attribute, die rein gar nichts bedeuteten.
    Wie war das noch gleich gewesen?
    Wer delegiert, läuft Risiko…
    Und:
Man muss immer mit allem rechnen.
    Diese emotionslose Nüchternheit der Weltsicht war es, die ihn von Anfang an beeindruckt hatte. Aber im Gegensatz zu manch anderem hatte sie ihm keine Angst gemacht.
    Er betrachtete die düsteren Baumschatten ringsum und überlegte, ob vielleicht gerade das der entscheidende Fehler gewesen war. Sein Fehler. Dass er keine Angst gehabt hatte. Nur so etwas wie Respekt. Vielleicht war das nicht genug gewesen.
    Was ihn besonders umtrieb, war die Frage, ob ihn wirklich purer Zufall ins Gefängnis gebracht hatte. Oder vielleicht doch Kalkül. Er hatte zwar nicht die geringste Ahnung, wie sie das hätten anstellen sollen, aber das musste nichts heißen. Sie hatten eine ganze Menge Macht – ein Wort, dessen wahre Bedeutung sich ihm erst im Gefängnis erschlossen hatte.
    MACHT …
    Ackermanns Finger schlossen sich fester um den Griff der Taschenlampe. Nicht zurückschauen, dachte er. Die Antwort auf gewisse Fragen zu finden, bringt das Verlorene nicht zurück.
Also sieh nach vorn! Auf das, was vor dir liegt, auf das Leben, das du leben wirst. Die Chancen, die es bietet.
    Er war von jeher pragmatisch veranlagt gewesen und hatte versucht, die Zeit hinter Gittern als lästiges, aber letztlich lohnendes Ärgernis zu begreifen. Er hatte sich in der Rolle eines Forschers gesehen, der eine gewisse Zeit an einem unbequemen Ort und unter widrigen Bedingungen ausharren muss, um am Ende umso reicher dafür entlohnt zu werden. Und wie sonst hätte er jemals so viel Geld auftreiben sollen, um sich seinen ganz persönlichen Platz an der Sonne leisten zu können? Gut, der Job als Pfleger war vielleicht sicher gewesen, allerdings auch ohne große Perspektiven. Mit viel Fleiß und Glück hätte er seine Bezüge in dreißig oder vierzig Berufsjahren vielleicht verdoppeln können. Doch selbst das hätte ihm keine großen Sprünge erlaubt. Und die Energie seiner Schwester, die nach einem völlig missglückten Start noch einmal jahrelang die Schulbank gedrückt hatte, um ihren Abschluss nachzuholen, hätte er niemals aufgebracht. Da waren diese sechs Jahre Knast am Ende doch die bequemere Alternative gewesen! Sogar die Weiber hatten erst nach seiner Verurteilung angefangen, sich für ihn zu interessieren.
    Nein,
korrigierte er sich,
nicht für mich. Für das Monster, für das sie mich halten …
    Aber auch das war
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