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Schneetreiben: Ein Fall für Heller und Verhoeven (German Edition)

Schneetreiben: Ein Fall für Heller und Verhoeven (German Edition)

Titel: Schneetreiben: Ein Fall für Heller und Verhoeven (German Edition)
Autoren: Silvia Roth
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Instinktiv versuchte er, den Mund zu schließen, doch es gelang nicht. Eine Hand zwang seinen zusammengepressten Kiefer mit gnadenloser Gewalt auseinander. Ackermann hörte ein Knacken, gefolgt von einem geradezu infernalischen Schmerz, der seinen Körper durchlief wie ein Stromschlag.
    Die verzweifelten Hilferufe blieben ihm im wahrsten Sinne des Wortes im Halse stecken, verkeilten sich dort und froren fest. Zugleich erfasste eine brennende Kälte seinen Kopf, den Oberkörper, den Magen. Ackermanns Augen suchten den Himmel, aus dem die Flocken niederschossen wie Pfeile. Er sah etwas Grünes und eine vermummte Gestalt, die sich über ihn beugte, während die Sehnen und Muskeln in seinem Rücken dem Druck nicht länger standhielten. Dann füllte der Schnee auch seine Lungen, bis sie barsten.
    2
    »Es tut uns leid, aber …«
    »Was?«
    »Er hatte es nicht bei sich.«
    »Natürlich nicht. Er war ja schließlich nicht blöd.« Die Stimme vibriert vor Unzufriedenheit und unterdrückter Ungeduld.
    Die beiden Männer tauschen einen Blick. Ackermann ist noch keine halbe Stunde tot, und schon heißt es »war«. So schnell geht das. Nicht dass sie zimperlich wären. Dafür machen sie diesen Job schon viel zu lange. Diesen Job und auch … Na ja, das andere. Da ist kein Raum für Mitleid oder andere unbequeme Emotionen.
    »Und Sie sind sicher, dass Sie keine Spuren hinterlassen haben?«
    Sie zögern. Einen Hauch zu lange vielleicht. Aber wer wollte ihnen das verdenken?
    Dann ein: »Ja.« Zweistimmig. Entschieden. Auch wenn man ihnen das jetzt nicht mehr abkauft.
    »Was ist mit dem Ort?«
    »Vielleicht. Aber wer sollte das zuordnen?«
    Schweigen. Nachdenklich.
    »Niemand würde da eine Verbindung herstellen. Wie sollten sie?«
    Ein Blick wie ein Pfeil. »Man muss immer mit allem rechnen.«
    Sie sehen einander an. Doch sie haben zu viel Respekt, um offen zu zeigen, dass sie so viel Vorsicht für übertrieben halten. Oder ist Angst am Ende vielleicht doch das passendere Wort?
    Aber das haben sie bereits vor langer Zeit aus ihrem Wortschatz gestrichen …
    Alles im Leben hat seinen Preis. Auch und vor allem die Bequemlichkeit.
    Und eben diese Bequemlichkeit ist es, was sie antreibt. Sie gehören nicht zu den Menschen, die sich in ihrem Streben nach Macht und Geld von irgendwelchen hehren Idealen belästigen lassen. Und tief in ihrem Inneren sind sie der festen Überzeugung, dass es den anderen ebenso geht. Auch wenn sie die wenigsten von ihnen je zu Gesicht bekommen haben. Gut, zugegeben, der Laden läuft noch immer. Erstaunlich genug. Aber dieses ganze Getue, die Schwüre, der Kult … Strukturell ein Kindergarten, ganz klar. Allerdings einer, der ihnen die Konten füllt. Also halten sie die Klappe. So einfach ist das.
    »Sollen wir danach suchen?«
    Und wieder dieses Schweigen. Kalt und abgründig.
    Genau wie die Augen.
    Irgendwo tickt eine Uhr. Die Sekunden dehnen sich, zäh wie Kaugummi. Ein Gefühl wie früher in der Schule, wenn man wegen irgendeines unbedeutenden Vergehens ins Büro des Direktors gerufen wurde. Dabei wollen sie einfach nur weg. Zurück in die Behaglichkeit ihrer Wohnungen, zu den warmen Körpern ihrer Geliebten. Job erledigt. Alltag, bitte. In dreizehn Tagen ist Weihnachten. Nein, in zwölf. Es ist nach Mitternacht. Ein neuer Tag, finster wie der, den sie zurückgelassen haben.
    Die Stille attackiert sie mit messerscharfen Zähnen. Dass man sich in einem warmen, teuer eingerichteten Zimmer so viel unwohler fühlen kann als auf einem düsteren Friedhof …
    Ein kurzes Zögern noch.
    Dann die Entscheidung, mit der sie entlassen sind. Endlich.
    »Ja. Suchen Sie.«
    3
    Die Uhr neben ihrem Kopf tickte unerbittlich vor sich hin. Und wie immer war es viel zu warm in ihrem Zimmer. Als ob sich mit dieser Affenhitze der Tod aufhalten ließe!, dachte Elisabeth Fersten mit einer Mischung aus Unverständnis und Ärger. Seit ihrem Einzug in Tannengrund monierte sie, dass sich die Heizkörper nicht unabhängig voneinander regulieren ließen. Aber alles, was sie damit erreichte, waren schnippische Antworten.
    »In einem Haus wie diesem ist es aus verschiedenen Gründen nicht wünschenswert, dass jeder, der rein theoretisch für sich selbst entscheiden könnte, genau dies auch tut«, pflegte Irén Theunes, die Direktorin der Residenz, großspurig zu erklären, wann immer man sie auf das Thema ansprach. »Aber wir bemühen uns um eine Temperatur, die möglichst allen Bewohnern angenehm ist.«
    »Und wo bitte haben diese
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