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Schneetreiben: Ein Fall für Heller und Verhoeven (German Edition)

Schneetreiben: Ein Fall für Heller und Verhoeven (German Edition)

Titel: Schneetreiben: Ein Fall für Heller und Verhoeven (German Edition)
Autoren: Silvia Roth
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dass ihr rechtes Bein wieder einmal blockiert war, blieb sie stehen.
    Nur die Ruhe, das geht vorbei. Nichts riskieren. Und vor allem: nicht hinfallen. Sonst liegst du wieder wochenlang auf der Nase und kannst überhaupt nichts mehr machen.
    Ganz abgesehen davon, dass es von Mal zu Mal schwieriger wurde, überhaupt wieder auf die Beine zu kommen. Jeder Sturz schien ihrem Körper etwas zu rauben, das sich auch durch Bettruhe und Regeneration nicht mehr vollständig ersetzen ließ. Elisabeth Fersten seufzte. Irgendwie schien ihr Altwerden, ohne dabei auch geistig nennenswert nachzulassen, die schwierigste Aufgabe zu sein, die ihr das Leben bislang gestellt hatte. Doch sie war entschlossen, die Herausforderung anzunehmen. Mit derselben optimistischen Neugier, mit der sie bislang jede Herausforderung in ihrem Leben angenommen hatte.
    »Du kannst froh sein, dass du überhaupt noch so fit bist«, sagte ihre Nichte immer, wenn sie in der Stadt war und pflichtschuldig bei ihr vorbeischaute.
    »Ja. Schon.«
    »Aber?«
    »Ich langweile mich.«
    »Das ist nicht dein Ernst, oder?«
    »Doch.«
    »Na, dann unternimm doch was.«
    »Würde ich ja. Aber da spielen meine Knochen nicht mehr mit …«
    »Ach was! Hör auf zu jammern und gib dir ein bisschen Mühe!« Carol war in diesen Dingen genauso unsentimental wie Irén Theunes. »Wenn man etwas erreichen will, dann erreicht man es auch.«
    Und was will ich jetzt erreichen?, überlegte Elisabeth Fersten, als sie unschlüssig weiterging. Warum liege ich nicht im Bett und schlafe, so wie sonst?
    Sie schob die Gardine beiseite und blickte in die Nacht hinaus.
    Schau an, es hatte also tatsächlich zu schneien begonnen!
    Obwohl jede Schneeflocke ihr das Gehen noch schwerer machte, als es ohnehin schon war, erfüllte der Anblick einer verschneiten Parklandschaft in der Adventszeit sie noch immer mit derselben Begeisterung wie vor fünfundsiebzig Jahren.
    Elisabeth Fersten öffnete einen der beiden Fensterflügel und genoss den Anblick der Flocken, die im Licht der nostalgischen Lampen tanzten. Und die Ruhe, die der Schnee mit sich brachte. Als ob jemand eine reinweiße Decke über Verkehrslärm und Dreck breitete!
    Durch das offene Fenster schwappte eine ungemütliche Kälte gegen ihre nackten Beine, doch Elisabeth Fersten blieb stehen, bis sie es wirklich nicht länger aushielt.
    Als sie eben das Fenster schließen wollte, nahm sie eine Bewegung wahr, dort hinten, unter den alten Bäumen, die die Zufahrt zur Küche säumten. Dort ging jemand! Eine, nein: zwei Personen, die sich eilig entfernten …
    Elisabeth Fersten zog erstaunt die Stirn in Falten. Die Nachtschicht rührte sich nach ihrem letzten Rundgang normalerweise nur dann von der Stelle, wenn es einen Notfall gab. Und die stärker pflegebedürftigen Patienten waren in einem anderen Gebäude untergebracht. Doch die beiden Personen, die dort unter den Bäumen gingen, kamen eindeutig von hier, vom Haupthaus.
    Elisabeth Fersten überlegte, was sie gewollt haben konnten. Sicher, manchmal war es nötig, Angehörige zu einer ungewöhnlichen Zeit an das Sterbebett von Opa, Mutter oder Großtante zu bestellen. Doch die beiden dort hinten sahen nicht aus, als ob sie gerade von irgendwem Abschied genommen hätten. Dazu bewegten sie sich viel zu schnell und kraftvoll. Aber was sonst konnten sie um diese Uhrzeit hier getan haben? Die Küche und sämtliche Gemeinschaftsräume wurden bereits um neun Uhr abends abgeschlossen, nachdem es dort in jüngerer Zeit seltsame Vorfälle gegeben hatte: Wände, die mit Exkrementen beschmiert worden waren. Ein paar aufgeschlitzte Sessel. Obszöne Zeichnungen an den Wänden. Elisabeth Fersten schlang fröstelnd die Arme um ihren knochig gewordenen Körper. Eigentlich merkwürdig, dachte sie, dass mich solche Dinge noch immer erschrecken. Dabei weiß ich doch nur zu gut, wie die Menschen sind. Und der Gedanke, dass jemand seinen Charakter ändern sollte, nur weil er alt wurde, war ihr schon immer vollkommen absurd erschienen.
    Sie sah wieder nach den beiden Silhouetten unter den Bäumen, doch die verschwanden in diesem Augenblick durch das Tor der Seiteneinfahrt. Dafür hörte Elisabeth Fersten plötzlich Schritte auf dem Gang vor ihrem Zimmer, und das Erste, was sie dachte, war, dass die Tür nicht abgeschlossen war. Oh, sie hätte schon abschließen wollen, daran lag es nicht. Nur leider gab es keine Schlüssel. Neben der Sache mit der Heizung vielleicht das Einzige, was sie an Tannengrund störte.
    Doch
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