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Schmetterlingsgeschichten - Chronik I - Genug geschlafen (German Edition)

Schmetterlingsgeschichten - Chronik I - Genug geschlafen (German Edition)

Titel: Schmetterlingsgeschichten - Chronik I - Genug geschlafen (German Edition)
Autoren: Alexander Ruth
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Der
Schmetterling flog unbeeindruckt zum Fenster raus.
     
    ******

6.
     
     E r stand
mal wieder vor der Schranke. Toll. Als wenn dieses blöde Mistding seinen
persönlichen Rachefeldzug gegen ihn führte. Eigentlich jeden Morgen ging dieses
Drecksteil vor ihm runter. Er könnte ja zwei Minuten früher losfahren und hatte
es auch versucht, aber trotzdem ging die Schranke runter. In jedem anderen
Beruf wäre seine Verspätung unangenehm aufgefallen – aber darüber musste er
sich weniger Sorgen machen: Jens Taime war Lehrer. Um genauer zu sein: Sport
und Mathematik. Dass er eigentlich auch Geschichte und Erdkunde hätte
unterrichten können, hatte er bei seiner Einstellung verschwiegen. Hässlich war
er auch nicht, sagte er sich zumindest. Er hätte schon längst heiraten können,
wenn er bei den Frauen, mit denen er zusammen war, geblieben wäre. Aber
irgendwie verstand es keine Frau, ihn lange zu halten. Warum auch immer…
      In
seiner Ledertasche, die er im letzten Semester an der Uni von seinem besten
Freund geschenkt bekommen hatte, waren die Klassenarbeiten der 8c. Sie
erreichten wenigstens den Jahrgangsdurchschnitt. So viel machte er wohl nicht
falsch. Die Uni… Jens schwelgte in Gedanken. Am schönsten waren die zwei
Semester  an der Uni Barcelona gewesen. Den Satz ‚No hablo espanol’ brauchte er
nur in der ersten Woche. Er war sprachbegabt, aber den Rest erledigten seine
spanischen Kommilitoninnen. Er mochte das Land.   
      Vor
allem die sehr geschätzte Siesta, die er ab der zweiten Woche eigentlich nie
alleine verbrachte.
      Der
Spanier an sich verbringt die Siesta eigentlich mit dem Nichts-Tun –
hauptsächlich im Liegen. Auch die Spanierinnen. Es hatte allerdings nur zur
Hälfte etwas mit der spanischen Siesta gemeinsam. Er verbrachte sie im Liegen,
aber nicht mit Nichts-Tun. Mmh, schöne Zeit.
      Endlich
fuhr der Zug an ihm vorbei. Irgendwie langsamer als gestern, oder? Seine Hände
kribbelten auch so merkwürdig. Allergisch war er auf jeden Fall nicht.
Höchstens gegen diese Schranke. Die Fliege, die auf der einen Seite zu seinem
Autofenster reinflog, war in allen Einzelheiten zu erkennen. Ihre Augen, die
millionenfach aufgeteilt waren, ihre haarigen Beine – alles war klar zu
erkennen. So genau hatte Jens noch nie eine Fliege betrachten können. Eine
Strecke, die sonst in einer Sekunde zurückgelegt wurde, dauerte an. Als hätte jemand
mit dem Finger geschnippt, war sie auch schon wieder zum Fahrerfenster
rausgeflogen. Au Mann, er sollte mal zum Arzt gehen, dachte er. Das war wohl
eine Kreislaufschwäche, und in den letzten Tagen hatte er auch nicht gut
geschlafen. Da bahnte sich was an.
      Jens
Taime hatte immer wieder so komische Träume, die er nicht verstand.
     
    ******

7.
     
     D ie Sonne
brannte mit 43 Grad Celsius, und sie schwitzte wie ein Wasserfall. Ihre
Hauptsorge galt dem Wasserverbrauch. Die Scharfschützin hatte einen
Plastikschlauch bis zum Fünf-Liter-Wasserkanister an ihren Füßen gelegt, der an
ihrer Seite bis zu ihrem Kopf entlang lief. Auch hatte sie eine Windel
angezogen. Das war eher der unangenehmere Teil. Erwachsene Menschen mögen es einfach
nicht, wie ein Kleinkind in die Hose zu machen. Aber das gehörte zu ihrem Job.
    Die
Soldatin lag jetzt schon seit neun Stunden im Sand und wartete. Auch knurrte
ihr Magen. Denn wenn sie noch so viele Müsliriegel essen wollte – satt machten
die nicht. Die Hitze wurde noch zusätzlich verstärkt durch die Tarndecke, die
über ihr lag. Ihr Arbeitsgerät war eine SIG Sauer SSG 300. Die Füße waren
ausgeklappt und standen ruhig auf dem kleinen Handtuch, das sie ausgebreitet
hatte. Sorgsam lagen noch zwei Reservemagazine daneben. Insgesamt 15 Patronen.
14 zuviel. Sie brauchte sie nicht – da war sie sich sicher. Es war halt nur
eine Absicherung. Zum Glück wog die Sauer nur 5,4 kg, sonst wäre ihr
Wasserverlust bei dem 16 Kilometer langen Marsch noch erhöht worden. In dem Lager
vor ihr tat sich nicht viel. Außerdem wartete sie auf den Funkspruch. Die
Scharfschützin hatte Situationen wie diese schon oft erlebt. Nur, wann hatte
sie schon mal das Gefühl gehabt, sie könnte die Gefühle jedes Einzelnen vor ihr
spüren? So viele. Ihre Ohren fingen an, zu jucken, dann ihre Füße. Angst, Ungewissheit
und noch mehr nicht Zuzuordnendes lag in der Luft. Es war wieder weg.
      »Konzentration,
Mädchen«, sagte sie sich. »Der Job! Oder du bist tot!« Die Soldatin trank den
letzten Schluck Wasser und wechselte den Schlauch
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