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Schloss der Engel: Roman (German Edition)

Schloss der Engel: Roman (German Edition)

Titel: Schloss der Engel: Roman (German Edition)
Autoren: Diana Itterheim , Jessica Itterheim
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endlich zu fassen. Ungeduldig fummelte ich den kleinen Schlüssel in das zierliche Schloss. Wenn ich aufmerksamer gewesen wäre, hätte ich vielleicht die inzwischen im Flur herumlungernden Schüler bemerkt. Möglicherweise hätte ich auch kapiert, dass der klägliche Schrei aus meinem Schrank kam. Doch ich übersah alle Warnzeichen.
    Ein schwarzes Fellknäuel sprang mir fauchend entgegen. Mit spitzen, ausgefahrenen Krallen landete die zornige Katze inmeinen Armen und hakte sich in meiner veilchenblauen Bluse fest, ehe sie den zarten Stoff fein säuberlich in dünne Streifen riss. Ich kreischte um Hilfe – spöttisches Gelächter war die Antwort! Die verschworene Gemeinschaft der Internatsschüler amüsierte sich prächtig über meinen erfolglosen Versuch, mich aus den Fängen der verstörten Katze zu befreien.
    Mein Magen rollte sich zusammen – wie immer, wenn ich wütend wurde. Was für ein arrogantes Pack! Nicht einer dachte daran, mir zu helfen. Ich bemühte mich, die Flüche, die mir auf der Zunge lagen, nicht laut auszusprechen. Auch wenn ich mir wirklich wünschte, dass die Hälfte von ihnen tot umfiel.
    Während ich mich und die Katze langsam beruhigte, tippte mir plötzlich jemand auf die Schulter: Frau Germann.
    »Linde?! Anscheinend sind dir unsere Internatsregeln noch nicht geläufig. Doch da du ganz neu bei uns bist, will ich heute mal ein Auge zudrücken. Aber dass du’s weißt, lebende Tiere bleiben draußen!«
    Ich nickte ergeben und versprach, die Katze ins Freie zu bringen. Dass ich sie in meinem Schrank gefunden hatte, verschwieg ich. Petzen war nicht mein Ding.
    Um mich abzureagieren, beschloss ich, mein Zimmer später einzuräumen und trotz der Kälte einen Spaziergang am See entlang zu machen. In meine dicke Jacke gewickelt, genoss ich die Stille des Winterwaldes, der hier so anders war als in Italien – dunkler, geheimnisvoller, aber auch ein wenig beängstigend –, und versank in meinen Erinnerungen.
    Eine Windböe holte mich in die Gegenwart zurück, als ich die eisigen Spuren fühlte, die meine Tränen hinterließen. Obwohl es nur ein paar Wochen bis zu den Osterferien waren, litt ich schon jetzt unter Heimweh, sehnte mich nach meinen Freunden, meinen Eltern und der Wärme Italiens.
    Im Dämmerlicht stolperte ich über abgestorbene Wurzeln und vermodernde Äste. Ich musste die falsche Richtung eingeschlagenhaben, weshalb ich am See auch nicht das Schloss, sondern einen halbverfallenen Pavillon entdeckte. Er war bestimmt wunderschön gewesen.
    In Italien hatte ich eine Vorliebe für Kunst und alte Gemäuer entwickelt. Ich schleppte all meine Freunde – ob sie nun wollten oder nicht – mindestens zweimal im Jahr in ein Museum, eine Kirche oder zu sonst einer Sehenswürdigkeit. Hier, mitten im Wald, auf so ein interessantes Objekt zu stoßen, damit hatte ich nicht gerechnet. Natürlich zögerte ich nicht – noch konnte ich genügend sehen.
    Wie auf Kommando erhoben sich Hunderte schwarzer Krähen gleichzeitig in die Luft, als ich auf den Pavillon zusteuerte. Ich fühlte den gespenstischen Hauch ihres Flügelschlags als Kribbeln auf meiner Haut, noch bevor ihr grelles Krächzen in meinen Ohren dröhnte. Mir wurde schwindelig. Alles in mir drängte wegzurennen, warnte mich weiterzugehen, doch meine Neugier siegte – zumal ich nicht mehr allein war.
    Helle gewellte Locken, scharfgeschnittene Gesichtszüge und gefährlich sanft geschwungene Lippen. Er stand neben dem Pavillon und starrte gedankenverloren auf den See. Selbst als der eisige Wind durch sein weißes Hemd fuhr, so dass sein Körper sich darunter abzeichnete, rührte er sich nicht.
    Mir hingegen stockte der Atem: perfekt!
    Der durchdringende Schrei einer Krähe riss mich aus meiner Betrachtung. Im Sturzflug stieß sie herab. Ein Gewirr aus Federn, scharfen Klauen und schwarzen Flügeln schoss auf mich zu, verfing sich in meinen langen Haaren und versuchte vergeblich, sich zu befreien.
    Ich schrie erschrocken auf, schlug nach der Krähe, riss meine Haare aus ihren Fängen und wehrte den aufgeregt flatternden Vogel ab, während ich in den Schutz eines überhängenden Gestrüpps flüchtete. Gleich zwei Mal an einem Tag von durchgedrehten Tieren attackiert zu werden, war mindestens einmal zu viel!
    Als ich vorsichtig wieder aus meiner Deckung hervorkroch, war er verschwunden – noch so ein eingebildeter Kerl, der sich zu fein war, mir zu helfen! Solche Typen schien es hier wie Sand am Meer zu geben. Schönheit kommt mit Arroganz
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