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Schlechte Medizin: Ein Wutbuch (German Edition)

Schlechte Medizin: Ein Wutbuch (German Edition)

Titel: Schlechte Medizin: Ein Wutbuch (German Edition)
Autoren: Gunter Frank
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Facharztausbildung sind kritische Stimmen gemeinhin eher die Ausnahme. Zunächst war ich in Akutkrankenhäusern beschäftigt, in der Inneren Medizin, der Chirurgie, der Urologie und der Notfallmedizin. Danach arbeitete ich quasi als Kontrastprogramm in einer Klinik für Naturheilkunde. Später war ich als Assistenzarzt in einer allgemeinmedizinischen und schmerztherapeutischen Praxis tätig und arbeite seit 1997 als selbstständiger Allgemeinmediziner mit eigener Praxis.
    Während meiner Zeit als Assistenzarzt im Krankenhaus stellte sich die Frage nach der Sinnhaftigkeit meinesTuns für mich nicht. Auf der einen Seite war ich noch unerfahren und ich kam nicht auf die Idee, dass die geltende Lehrmeinung, die meine Chefs auch umsetzten, auf etwas anderem gründen könnte als dem redlichen Bemühen, das Beste für den Patienten zu erreichen. Auf der anderen Seite war man gerade in der Notaufnahme mit viel akutem Leid konfrontiert und machte oft die Erfahrung, dass man als Arzt in einer solchen Notfallsituation tatsächlich segensreich wirken konnte. Gallenkolik und schreckliche Schmerzen: eine Infusion mit krampflösendem Schmerzmittel, und schon nach wenigen Minuten war der Albtraum für den Patienten vorbei. Akute Unterzuckerung: eine Glukoseinfusion, und schon klarte der vorher bewusstlose Patient auf, und dieVerwandten waren erleichtert. Herzinfarkt: die ganze Palette hilfreicher Medikation von Morphin bis Blutverdünnung, und der Patient hatte keine Schmerzen mehr und überlebte oft sogar ohne Spätfolgen. Die Arbeit in der Akutmedizin war befriedigend, besonders in der chirurgischen Notaufnahme: Schnittwunden, Knochenbrüche, Blinddarmentzündungen– alles akute Notsituationen für den Patienten, in denen die moderne Medizin schmerzlindernd und oft lebensrettend helfen kann. Das ist heute auch noch so, und wir können froh sein, dass wir in Deutschland eine solch leistungsfähige Akutmedizin haben, in der in den meisten Fällen motivierte Ärzte und ein motiviertes Pflegepersonal nicht selten unter ungünstigen Arbeitsbedingungen ihr Bestes für den Patienten geben. Dieser Bereich der modernen Medizin und die dort arbeitenden Kollegen sind nichtTeil meiner Anklage.
    Problematischer wurde es für mich, als ich auf den Stationen der Inneren Medizin arbeitete, also dort, wo man kaum mit Notfällen zu tun hat, sondern mit Patienten, die wegen typischer chronischer Erkrankungen behandelt werden: Herzerkrankungen, Altersdiabetes, Rheuma und so weiter.Während der Notarzt oder auch der Chirurg das Ergebnis seiner Arbeit sofort beurteilen kann, ist dies dem Internisten und Allgemeinarzt oft weniger vergönnt. Ich kann doch gar nicht einschätzen, ob der Patient, der bei mir in der Sprechstunde sitzt, in vielleicht 30Jahren tatsächlich weniger Herzkrankheiten entwickelt, wenn ich ihm wegen Überschreitung eines Normwertes ein Medikament verordne. Dennoch faszinierte mich der Gedanke, viel früher medizinisch eingreifen zu können, bevor eine Krankheit zu schweren Symptomen führt. So gab ich mich mit den Möglichkeiten der Reparaturmedizin und der Behandlung von akuten Notfällen nicht zufrieden. Ich wollte mehr. Ich wollte verstehen, wie es zu schweren chronischen Krankheiten kommt und wie man viel früher ansetzen könnte, bevor es zum Notfall, zum Herzinfarkt, zur Magenblutung, zu Spätfolgen der Zuckerkrankheit kommt.
    Schon bald beschlich mich das Gefühl, dass viele Patienten auf den Stationen der Inneren Medizin eigentlich nur verwaltet werden. Das Durchschnittsalter auf solchen Stationen wird immer höher. Es war Standard, dass 80-Jährige von uns auf 8 bis 10Tabletten täglich eingestellt wurden: eine gegen Bluthochdruck, und wenn die nicht genügend wirkte, dann noch eine zweite. Weitere Schmerztabletten gegen Rückenschmerzen, Aspirin zur Blutverdünnung und eine gegen den magenschädigenden Krankenhausstress und die Folgen der Schmerztabletten. Dazu nochTabletten gegen Schleimbildung, um einer Lungenentzündung vorzubeugen, eine gegen Zuckerkrankheit, weil der Blutzucker oberhalb des Normwertes lag. Selbstverständlich eineTablette zur Senkung des ebenfalls über der Norm liegenden Cholesterinspiegels.Weiterhin eineTablette nachts zum Schlafen und eine gegen dieTagesmüdigkeit und so weiter und so weiter. All das begleitet von einer Diätberatung und demVerbot von Zucker (schlecht bei Diabetes), Salz (schlecht bei Bluthochdruck) und Fett (schlecht bei erhöhtem Cholesterin), von zu viel Fleisch (schlecht bei
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