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Schlechte Medizin: Ein Wutbuch (German Edition)

Schlechte Medizin: Ein Wutbuch (German Edition)

Titel: Schlechte Medizin: Ein Wutbuch (German Edition)
Autoren: Gunter Frank
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wurde er stetig gesenkt und liegt heute bei 200. In den aktuellen Leitlinien der Hochdruckliga wird sogar 190 als Grenzwert angegeben. Und auch beim Blutzucker zeigt sich die gleiche Entwicklung. Als Medizinstudent kannte ich noch Normwerte von 140mg / dl, Ende der 1990er Jahre galten 126 und heute 120 als obersterWert. Es gibt für diese Absenkungen keine seriösen, fachlich wie handwerklich korrekt durchgeführten Studien, die dies medizinisch rechtfertigen könnten. Aber man bekommt auf diesemWeg Millionen neue Kunden, die dann Diagnostik, Behandlung und Medikamente brauchen.
    Mit dem Normwertetrick lassen sich auch Epidemien herbeireden, ohne dass es einen einzigen neuen Erkrankten gäbe. Am Beispiel Diabetes lässt sich das gut sehen. DiabetesTyp II (Altersdiabetes) wird als die neue weltweite Epidemie bezeichnet, immer mehr Menschen, sogar Kinder würden daran erkranken.Was hilft angeblich dagegen? Selbstverständlich eine möglichst frühe Diagnostik, ständige Kontrollen in diabetischen Spezialzentren, begleitet von Gewichtsreduktionsmaßnahmen, Ernährungsberatungen und Medikamenten. Das Einzige, was sich jedoch imVergleich zu früher geändert hat, ist die Absenkung der Normwerte, umfangreichere Blutuntersuchungen und dieTatsache, dass die Menschen immer älter und die Älteren immer mehr werden. Dies führt zwar zu mehr Diagnosen, aber inWirklichkeit ist das Risiko, zuckerkrank zu werden, für einen 50-Jährigen von heute nicht höher oder niedriger als für einen 50-Jährigen vor 100 Jahren.
    Der amerikanische Arzt und Buchautor GilbertWelch hat nachgerechnet, wie viele neue Patienten– oder besser gesagt Kunden– die Senkung der Normwerte dem Gesundheitsmarkt in den USA gebracht hat.
    Zusammenhang Normwertabsenkung und Patientenzahl
Alter Wert
Neuer Wert
Patientenzahl mit altem Wert
Patientenzahl mit neuem Wert
Neue Patienten
Zuwachs in %
Blutzucker (mg/dl) 140
126
11 6 9 7 000
13 37 8 000
1 681 000
14
Blutdruck (mmHg) 160 / 100
140 / 90
38 690 000
52 18 0 000
13 490 000
35
Cholesterin
    (mg/dl) 240
200
49 480 000
92 127 000
42 64 7 000
86
    Aus: Gilbert Welch: Overdiagnosed
    DieTabelle macht deutlich, dass allein die Absenkung des Cholesterinlevels von 240 auf 200mg / dl in den USA über 42Millionen gesunde Menschen zu Patienten gemacht hat, die als Kunden nun fettarme Nahrungsmittel, Ernährungsberatung und Fitnessprogramme konsumieren sollen. Und weil all diese Maßnahmen nachweislich den Cholesterinspiegel dauerhaft gar nicht senken können, werden den Patienten dann Medikamente verordnet. Hier geht es um einen Milliardenmarkt. Allein in Deutschland wurden im Jahr 2004etwa 1,4MilliardenTagesdosen Cholesterinsenker entsprechend einer täglichen Behandlung für etwa 3,7Millionen Menschen verschrieben. Und das Paradoxe:Während also immer mehr Menschen an einem erhöhten Cholesterinspiegel » leiden « , verliert der Cholesterinspiegel alsVerursacher von Gefäßerkrankungen wissenschaftlich gesehen immer mehr an Bedeutung. Da es jedoch um richtig viel Geld geht, wird dieser Aspekt totgeschwiegen. Die großen finanziellen Möglichkeiten erklären auch die ungeheure Energie, die in die entsprechende Lobbyarbeit gesteckt wird, um die Normwertsenkungen an Universitäten und in der Politik durchzusetzen. So konnte seit 60Jahren die Scheinkrankheit » Hypercholesterinämie « in bemerkenswerterWeise in der Medizin etabliert werden. Eine » Krankheit « , die keine Beschwerden macht, keine Symptome verursacht. Sie besteht einzig aus einem Cholesterinspiegel, der über einem ständig nach unten definierten Normwert liegt.Wenn man davon ausgeht, dass der Hauptrisikofaktor eines Menschen, im Laufe seines Lebens eine Gefäßerkrankung zu entwickeln, der ist, überhaupt geboren zu sein, könnte man auch den Cholesterinspiegel insgesamt als Risikofaktor definieren. Dann ist alles über null ein Risiko, und die Ernährungsberatungsbranche und Pharmaindustrie können uns alle als Kunden begrüßen. Im Ernst, sie arbeiten daran.
    Das Vorrisiko
    Eine weitere Absenkung der Normwerte könnte man heute nur noch mit Studien rechtfertigen, die sofort als Manipulation erkennbar wären. Selbst unkritischeWissenschaftler müssten sie als fachliche Idiotie empfinden. So weit möchte niemand gehen. Deshalb senkt man die Normwerte nicht weiter, sondern man definiert nunVorrisikobereiche. Das klingt auch irgendwie gefährlich, und die Patienten fühlen sich genötigt, sich beim Arzt neuen regelmäßigen Kontrollen und Behandlungen
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