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Schlangenaugen

Schlangenaugen

Titel: Schlangenaugen
Autoren: Carol Grayson
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Mädchens. In der Hütte von Mama Bo bekreuzigten sich die älteren Frauen, die nur noch leichtere Arbeit verrichteten. Leise stimmten sie ein altes, wehmütiges Lied in einer fremden Sprache an und wiegten ihre Körper dazu im Takt.
    * * *
    Es regnete nicht. Ein trockenes Gewitter fegte mit Hitze und Zorn über das Sumpfland, dem man die Felder für die Baumwolle abgerungen hatte. Der Himmel verweigerte der Erde die Tränen, die Annabelle für ihn weinte. Eine gute halbe Stunde nach dem ersten Schrei taumelte sie aus dem Wohnhaus des Masters, stolperte die Treppen der Veranda herunter und lief gegen den heißen Wind an. Instinktiv flüchtete sie sich zur alten Amme Mama Bo, die sie liebevoll in die Arme nahm.
    Die anderen Frauen verließen inzwischen die einfache Holzhütte. Annabelles Schluchzen und Stammeln wurde draußen von dem rhythmischen Zirpen der Zikaden begleitet. Mama Bo ließ sie gewähren und sagte nichts. Die massige Negerin hielt das halbnackte Mädchen. Die Geschändete hatte ihr Kleid nur lose übergezogen und nicht einmal zugeknöpft. In Panik war sie davon gerannt, als McMillan von ihr abgelassen und sich wieder dem Scotch zugewandt hatte. Ihr Körper blutete und schmerzte. Ohnmächtige Wut ließ sie unkontrolliert zittern. Mama Bo wiegte sie in ihren Armen, als wäre sie eines der Kinder, die sie umsorgt hatte.
    Die Amme besaß einen besonderen Stellenwert unter den Sklaven. Sie war so etwas wie eine weise Frau. Zu ihr kamen sie, wenn sie krank waren oder Kummer hatten. Mama Bo – als junges Mädchen auf den Namen Bonita getauft – kümmerte sich um sie alle, pflegte die alten Traditionen, kochte Medizin aus Kräutern und sah in die Zukunft. Diese Gabe rettete sie vor den Peitschen der Aufseher. Man munkelte, sie könne jeden höchst wirksam verfluchen. Es dauerte etwa eine Stunde, bis Annabelles Zittern nachließ und ihre Tränen langsam versiegten. Mama Bo reichte ihr eine Kelle mit Wasser. „Trink, Mädchen!“
    Annabelle trank das Wasser. „Ich hasse ihn“, stieß sie dann aus. „Er soll büßen für das, was er uns antut.“ Mama Bo nickte und reichte ihr ein Stück Brot. „Das wird er, mein Kind, das wird er.“
    Annabelle, die den ganzen Tag über noch nichts gegessen hatte, biss in den Brotkanten. Ihr Blick verlor sich in eine andere Welt, während sie langsam aß.
    „Versprich mir, dass er das büßen wird, Mama Bo!“, flüsterte sie nach einer Weile. Die alte Negerin setzte sich zu ihr. Sie legte der wesentlich jüngeren Frau eine Hand auf den Leib. Wieder nickte sie. „Du wirst einen Sohn bekommen, Mädchen.“
    Annabelle schreckte von ihrem Stuhl hoch. „Niemals. Niemals will ich das Kind dieses Monsters auf die Welt bringen.“
    „Setz dich wieder.“ Mama Bos Stimme klang sanft und beruhigend. Trotz ihres Alters wies ihre Stirn kaum Falten auf. Ihr rundlicher Körper steckte in einem zeltartigen Kleid mit bunten Mustern, die sich in ihrem Kopftuch wiederholten. Ihre Miene war stets freundlich und verständnisvoll. Niemand wusste, wie lange sie eigentlich schon auf dieser Plantage weilte. Man munkelte, bereits der Vater des Massas hätte sie als junges Mädchen eingekauft und sie hätte den kleinen Ibrahim großgezogen. In der Tat wurde gegen sie niemals die Hand erhoben und selbst die Aufseher behandelten Mama Bo mit Respekt.
    „Du musst dieses Kind bekommen, hörst du. Dein Sohn wird etwas besonderes sein – er wird eines Tages Herr über diese Plantage sein. Vertrau mir und verzweifle nicht. Wir alle sind in den Händen des Allmächtigen, und der wird den Massa strafen für all seine Sünden“, fuhr sie jetzt im ebenso ruhigen Tonfall fort, ein Singsang, der typisch für die Südstaaten war. Annabelle setzte sich wieder hin. Eine tiefe Ruhe ergriff sie nach diesem Versprechen. Mama Bos Voraussagen trafen immer ein.  
    * * *
    Zur gleichen Zeit, als Annabelle auf der Plantage vergewaltigt wurde, lag in Baton Rouge eine andere junge Frau in den Wehen – eine Hure. Unten im Saloon erklangen die falschen Töne des betrunkenen Klavierspielers bis in den ersten Stock hinauf. Begleitet von dem Grölen der anderen besoffenen Gäste, dem Klirren der Gläser und den anzüglichen Pöbeleien für die stark geschminkten Frauen, die in offenherzigen, weiten Kleidern für den Umsatz des Wirtes sorgten. Draußen grollte der trockene Donner mit dem Lärm innen um die Wette. Ab und zu erhellten zuckende Blitze das von zwei müden Gaslampen beleuchtete Zimmer im ersten Stockwerk
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