Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Schlafender Tiger. Großdruck.

Schlafender Tiger. Großdruck.

Titel: Schlafender Tiger. Großdruck.
Autoren: Rosamunde Pilcher
Vom Netzwerk:
Pau­se hat­te Agnes wie­der „Ja, Ma­dam“ ge­sagt und war mit ei­nem kur­z­en küh­len Lä­cheln be­lohnt wor­den. Mrs. Bru­ce hob Se­li­na hoch und leg­te sie in Agnes' Ar­me. „Ich füh­le mich jetzt viel woh­ler“, sag­te sie.
    „Dan­ke, Agnes.“
     
    „Du glaubst, es ist mein Va­ter, nicht wahr?“ frag­te Se­li­na.
    „Ich bin mir nicht si­cher, Se­li­na, und das ist die Wahr­heit“, be­teu­er­te Agnes.
    „Warum hast du mir nie sei­nen Na­men ver­ra­ten?“
    „Ich hat­te es dei­ner Groß­mut­ter ver­spro­chen. Jetzt ha­be ich mein Wort ge­bro­chen.“
    „Du hat­test kei­ne an­de­re Wahl.“
    Agnes kam ein Ge­dan­ke. „Wo­her weißt du über­haupt, wie er aus­sah?“
    "Ich ha­be ein Fo­to ge­fun­den, vor Jah­ren. Ich ha­be es kei­nem von euch er­zählt.“
    „Du wirst nichts ... nichts un­ter­neh­men?“ Agnes' Stim­me zit­ter­te al­lein schon bei dem Ge­dan­ken dar­an.
    „Ich könn­te ihn su­chen“, er­wi­der­te Se­li­na.
    „Wo­zu, soll das gut sein? Selbst wenn er dein Va­ter wä­re.“
    „Ich weiß, daß er mein Va­ter ist. Ich weiß es ein­fach. Al­les deu­tet dar­auf hin. Al­les was du mir er­zählt hast. Al­les was du ge­sagt hast...“
    „Und wenn er es ist, warum ist er dann nach dem Krieg nicht zu Har­riet zu­rück­ge­kehrt?“
    „Was wis­sen wir denn? Viel­leicht war er ver­wun­det, hat­te sein Ge­dächt­nis ver­lo­ren. So was ist vor­ge­kom­men, weißt du.“
    Agnes schwieg.
    „Viel­leicht war mei­ne Groß­mut­ter so schreck­lich zu ihm...“
    „Nein“, wi­der­sprach Agnes. „Das hät­te ihn nie­mals da­von ab­ge­hal­ten. Nicht Mr. Daw­son.“
    „Er wird er­fah­ren wol­len, daß er ei­ne Toch­ter hat. Daß er mich hat. Und ich möch­te ihn ken­nen­ler­nen. Ich will wis­sen, wie er ist, wie er spricht, was er denkt und tut. Ich möch­te das Ge­fühl ha­ben, zu je­man­dem zu ge­hö­ren. Du kannst dir nicht vor­stel­len, wie das ist, nie­mals wirk­lich zu je­man­dem zu ge­hö­ren.“
    Doch Agnes wuß­te, wo­von Se­li­na sprach, sie hat­te Se­li­nas in­ne­re Un­ru­he schon im­mer ge­spürt und den Grund da­für ge­ahnt. Nach kur­z­em Über­le­gen mach­te sie den ein­zi­gen Vor­schlag, der ihr ein­fiel: „Warum sprichst du nicht mit Mr. Ack­land dar­über?“
     
    Das Bü­ro des Ver­le­gers be­fand sich im obers­ten Stock­werk des Ge­bäu­des, am Ziel ei­ner un­ge­wis­sen Rei­se nach oben in klei­nen, zit­tern­den Fahr­stüh­len, über kur­ze Trep­pen, en­ge Flu­re und noch mehr Trep­pen. Au­ßer Atem und in der Er­war­tung, je­den Mo­ment auf dem Dach des Hau­ses an­zu­kom­men, fand Se­li­na sich vor ei­ner Tür mit dem Schild Mr. A. G. Rut­land wie­der.
    Sie klopf­te. Kei­ne Re­ak­ti­on, nur das Tip­pen ei­ner Schreib­ma­schi­ne war zu hö­ren. Se­li­na öff­ne­te die Tür.
    Das Mäd­chen, das auf der Schreib­ma­schi­ne schrieb, blick­te auf und frag­te: „Ja?“
    „Ich möch­te zu Mr. Rut­land.“
    „Ha­ben Sie einen Ter­min?“
    „Ich ha­be heu­te mor­gen an­ge­ru­fen. Mein Na­me ist Bru­ce. Er sag­te, falls ich so um halb elf her­um kom­men wür­de...“ Sie sah auf die Uhr. Es war zwan­zig nach zehn.
    „Al­so, im Mo­ment ist je­mand bei ihm“, sag­te die Se­kre­tä­rin. „Sie set­zen sich am bes­ten hin und war­ten.“ Sie fuhr mit dem Schrei­ben fort.
    Se­li­na be­trat das Vor­zim­mer, schloß die Tür und setz­te sich auf einen klei­nen, har­ten Stuhl. Aus dem In­ne­ren des Bü­ros war das lei­se Mur­meln von Män­ner­stim­men zu hö­ren. Et­wa nach zwan­zig Mi­nu­ten wur­de das Mur­meln lau­ter, man hör­te, wie ein Stuhl zu­rück­ge­scho­ben wur­de, Schrit­te nä­her­ten sich. Die Tür des Bü­ros wur­de ge­öff­net, ein Mann kam her­aus. Er zog sei­nen Man­tel an und ließ da­bei ei­ne Map­pe mit Pa­pie­ren fal­len.
    „Oh, wie un­ge­schickt von mir...“ Er bück­te sich, um die Pa­pie­re auf­zu­he­ben. „Dan­ke, Mr. Rut­land, für al­les...“
    „Kei­ne Ur­sa­che. Kom­men Sie wie­der, wenn sie ein paar neue Ide­en für den Schluß ha­ben.“
    „Ja, na­tür­lich.“
    Sie ver­ab­schie­de­ten sich. Der Ver­le­ger woll­te schon in sein Bü­ro zu­rück­ge­hen, da stand Se­li­na auf. „Mr. Rut­land?“
    Er dreh­te sich um.
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher