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Schizophrenie ist scheiße, Mama!: Vom Leben mit meiner psychisch erkrankten Tochter (German Edition)

Schizophrenie ist scheiße, Mama!: Vom Leben mit meiner psychisch erkrankten Tochter (German Edition)

Titel: Schizophrenie ist scheiße, Mama!: Vom Leben mit meiner psychisch erkrankten Tochter (German Edition)
Autoren: Janine Berg-Peer
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vergessen und gibt mir fröhlich einen Abschiedskuss.

    In dieser Zeit sind Lenas Freunde häufig bei uns, sie kochen gemeinsam und übernachten in unserer Wohnung. Immer ist Lena der Mittelpunkt, der Boss. Sie bestimmt, wer die Zwiebeln schneidet und wer den Tisch deckt, und nur sie selbst darf die Sauce abschmecken. Sie ist beliebt. Es sind nette Jugendliche, ich kenne sie und ihre Eltern schon seit langem und freue mich, dass Lena so viele soziale Kontakte hat. Leider hilft Lenas Clique der guten Stimmung mit Kiffen und später auch mit Alkohol nach. Ich hätte es bemerken müssen, aber vielleicht war ich zu sehr mit meinen beruflichen Herausforderungen beschäftigt. Die Situation in der Schule verschlechtert sich ständig, und es zeichnet sich ab, dass Lena die mittlere Reife nicht schaffen wird. Ich mache mir Sorgen um ihre schulische Zukunft und suche nach Möglichkeiten, Lena dennoch eine gute Ausbildung zu ermöglichen. Aber ohne mittlere Reife sind ihre Chancen in Deutschland begrenzt. Und so komme ich auf die Idee, ein Internat in England zu suchen. Es ist nicht einfach, Lena von einem Schulwechsel zu überzeugen, vor allem schmerzt sie der Verlust ihrer Freunde, aber letztlich bleibt ihr nichts anderes übrig. Am Flughafen Tegel erscheint ein Pulk Jugendlicher mit Luftballons, der einer tränenüberströmten Lena zum Abschied winkt. Und ich habe ein schlechtes Gewissen.

1997
    Kontaktdiät in der Jugendpsychiatrie
    Vierzehn Tage nach Lenas Krankenhauseinweisung entscheiden die Ärzte, dass sie in die Jugendpsychiatrie verlegt werden muss. Sie entscheiden, ich werde nicht gefragt. Dr. C. bittet mich zu einem Gespräch. »Wir haben entschieden, dass Lena in die Jugendpsychiatrie gehört. Die nächsten vier Wochen dürfen Sie keinen Kontakt zu Ihrer Tochter haben, Lena soll jetzt zur Ruhe kommen. Sie muss eine Zeitlang vor familiären Einflüssen geschützt werden. Sie dürfen sie weder besuchen noch sie anrufen oder ihr schreiben. Sie braucht eine optimale Umgebung. In der Jugendpsychiatrie wird man sich sehr gut um sie kümmern.« Das nennt man Kontaktdiät, lerne ich später. Ich bin keine optimale Umgebung für meine Tochter? Leider glaube ich das sofort. Die Ärzte wirken so ernst und überzeugt, sie machen sich wirklich Sorgen um Lena. Wenn sie sagen, dass ich den Heilungsprozess störe, kann ich mich dem doch nicht entziehen. Aber trotzdem bin ich unglücklich. »Wieso soll ich vier Wochen lang Lena nicht besuchen und sie nicht mal anrufen? Sie freut sich doch jedes Mal, wenn ich komme. Ich kann sie doch nicht im Stich lassen, sie ist ohnehin schon wütend auf mich, weil ich sie in die ›Irrenanstalt‹ gebracht habe, und jetzt darf sie doch nicht das Gefühl bekommen, dass ich mich gar nicht mehr um sie kümmere.« Dr. C. guckt mich nachdenklich an. »Es ist uns aufgefallen, dass Sie eine sehr symbiotische Beziehung zu Lena haben, und das ist für psychotische Menschen gar nicht gut. Jedes Mal, wenn Sie kommen, umarmen Lena und Sie sich und küssen sich. Das ist doch für eine normale Mutter-Tochter-Beziehung ungewöhnlich.« Ungewöhnlich? Ich bin erstaunt. Natürlich umarmen und küssen wir uns. Wie sollten wir uns denn sonst begrüßen? »Ich kenne das in unserer Familie gar nicht anders, wir küssen und umarmen uns immer. Meine Mutter als Französin hätte es sehr merkwürdig gefunden, wenn wir ihr nur die Hand geschüttelt hätten.« Ich ernte einen ernsten Blick. »Haben Sie nicht erzählt, dass auch Ihre Mutter manisch-depressiv war?« Das stimmt. Ich werde unsicher. Hat sich die Veranlagung zur psychischen Erkrankung in unserer Familie schon durch derartige Rituale gezeigt? War das Umarmen und Küssen ein Krankheitssymptom? Zum ersten Mal wird mir bewusst, dass in der Psychiatrie nicht nur die Patienten beobachtet und diagnostiziert werden, sondern ich als Mutter ebenfalls. Und dass kulturgeprägte Vorstellungen des Arztes über richtiges und falsches Verhalten in das Urteil mit eingehen. In meiner jetzigen Situation scheue ich davor zurück, Dr. C. zu widersprechen. Wenn ich ihn verstimme, verübelt er Lena vielleicht diese Mutter und behandelt sie weniger freundlich. Aber wenn ich diesen blassen, ernsten Mann mit den dünnen Lippen betrachte, denke ich mir, dass ihm ein paar Umarmungen und Küsse in seiner Jugend vielleicht ganz gutgetan hätten.
    Beim nächsten Besuch gehe ich mit ausgestrecktem Arm auf Lena zu und reiche ihr die Hand. »Mama, was ist los? Bist du böse auf mich?« Lena
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