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Schizophrenie ist scheiße, Mama!: Vom Leben mit meiner psychisch erkrankten Tochter (German Edition)

Schizophrenie ist scheiße, Mama!: Vom Leben mit meiner psychisch erkrankten Tochter (German Edition)

Titel: Schizophrenie ist scheiße, Mama!: Vom Leben mit meiner psychisch erkrankten Tochter (German Edition)
Autoren: Janine Berg-Peer
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sanftmütige Lehrerin in der ersten Klasse in ihre Beurteilung schrieb. Hätte mir das zu denken geben müssen? Oft war ihr Interesse an einem Fach und ihre Begeisterung dafür abhängig davon, ob sie die Lehrerin als freundlich empfand oder nicht. Nach der 6. Klasse sagte mir die Lehrerin, dass Lena zwar auf das Gymnasium gehen könne, dass sie aber ihrer Schüchternheit und ihrer Kreativität wegen eher die nahe gelegene Realschule mit stark musischer Ausrichtung empfehlen würde. Leider betrachtete ich diese Empfehlung nicht als Option. Natürlich wollte ich, dass meine Tochter aufs Gymnasium geht. Wäre es besser für sie gewesen, wenn ich der Empfehlung der Lehrerin gefolgt wäre?

    Zu Beginn lief es gut auf dem Gymnasium. Lena fand Freunde, und sie hatte Lieblingslehrerinnen, für deren Fächer sie gern lernte. Und sie ging regelmäßig zum Fechttraining. Im Alter von sieben Jahren hatte sie mit dem Fechten begonnen. Sie nahm an Wettkämpfen teil, trug eine Medaille nach der anderen nach Hause und freute sich auf jeden Trainingstermin. Ihr polnischer Trainer hatte die Gabe, seine Jungen und Mädchen zu begeistern. Sie fuhren zu Freundschaftsspielen in ganz Deutschland, zu Entscheidungskämpfen nach Polen, und sie fochten den Sommer über in einem Trainingslager in Tauberbischofsheim beim Bundestrainer. Lena war beliebt im Verein. »Unser Klassenclown«, nannte der Trainer sie liebevoll. Ich sehe immer noch vor mir, wie Lena nach gewonnenem Kampf strahlend auf mich zuläuft, ihre Maske vom Kopf reißt, ihr rotes, verschwitztes Gesicht hervorkommt und die langen dunklen Haare über die weiße Fechtmontur fallen. Wieder hat sie gewonnen! »Merde, Lena encore! – Mist, schon wieder Lena!«, schimpften die kleinen Französinnen, wenn sie Lena als Turnier-Gegnerin hatten. Nach jedem ihrer Siege rannte Lena auf die Verliererin zu, umarmte und tröstete sie.
    Es war eine schöne Zeit. Lena hatte eine Gruppe, zu der sie gehörte, die Trainer waren streng, aber liebevoll, und sie hatte Erfolg.
    Nach der Wende wurden die Fechtvereine zwischen Ost und West aufgeteilt, und nun musste Lenas Gruppe zum Training in das ehemalige DDR-Kader-Trainingszentrum fahren. Die dortigen Trainer hatten bereits DDR-Fechtkadern zu großen Erfolgen verholfen, aber ihr militärischer Ton und der Drill waren für unsere Jugendlichen ungewohnt. »Sie dürfen Ihre Tochter nicht trösten, wenn sie verliert«, schnauzte mich der neue Trainer an. »Sagen Sie nicht, dass es nichts macht, wenn sie verloren hat. Natürlich macht es etwas. Sie muss einen Killerinstinkt entwickeln!« Lena hatte eindeutig keinen Killerinstinkt, und die anderen Kinder der ehemaligen Gruppe wohl auch nicht. Viele der Jugendlichen aus dem Westen hörten mit dem Fechten auf. Schade, Lena hatte sieben Jahre lang große Freude an diesem Sport.

    Ich weiß nicht, ob es einen Zusammenhang zwischen Lenas Leistungen in der Schule und dem Wegfall des Fechttrainings gibt – vorher hat sie dreimal wöchentlich trainiert und an fast allen Wochenenden an Turnieren teilgenommen. Auf jeden Fall werden danach ihre Schulnoten ständig schlechter. Lena bekommt in ihrer Klasse Probleme mit einer Mädchenclique und fühlt sich ausgegrenzt. Sie ist unglücklich, bleibt sitzen. Ich gehe zu den Lehrern, versuche, gut Wetter zu machen und um Verständnis für Lenas Schüchternheit und Probleme zu werben. Sie bekommt Nachhilfeunterricht. Wenn der Nachhilfelehrer kommt, telefoniert sie stundenlang mit ihren Freundinnen und beachtet ihn nicht. Ich bin wütend. Wenn wir mit Freunden beim Essen sitzen, fällt sie uns ins Wort und redet plötzlich über völlig andere Themen, die nicht im Entferntesten etwas mit unserem Gespräch zu tun haben. Ich spreche mit ihr darüber und bitte sie, nicht so unhöflich zu sein. Sie ist verwirrt und weiß nicht, wovon ich rede.
    Es ist schwierig, sie morgens aus dem Bett zu holen. Jede Kleinigkeit regt sie auf. Fast jeden Morgen schreit und tobt sie durch die Wohnung, weil sie ihre Sachen nicht findet. »Wo ist meine Bürste?«, tönt es lautstark aus dem Bad. Ich höre Gegenstände zu Boden fallen. »Du hast meine Bürste weggenommen, Mama. Ich weiß genau, dass ich sie gestern auf das Fensterbrett gelegt habe.«
    »Ich habe sie nicht genommen, Lena. Guck doch noch mal genau, du weißt doch, dass …« Wütendes Geschrei. »Nein, ich weiß genau …« Irgendwann findet sie die Bürste. Für mich ist der Morgen verdorben. Aber Lena hat ihren Ausbruch sofort
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