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Schimmernder Dunst über CobyCounty (German Edition)

Schimmernder Dunst über CobyCounty (German Edition)

Titel: Schimmernder Dunst über CobyCounty (German Edition)
Autoren: Leif Randt
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bestätigt ihm das am Telefon.«
    »Selbst seine Mutter sollte wissen, dass immer komische Dinge passieren, dass alles eine Frage des Blickwinkels ist. Früher wusste sie so was auch. Als ihr beide klein wart, ist sie richtig entspannt und smart gewesen … Wie lang ist sie jetzt eigentlich schon weg?«
    »Seit eineinhalb Jahren.«
    »Manche brauchen eben ein bisschen mehr Zeit. Aber schließ nicht von den Eltern auf die Kinder, das wäre kitschig. Wesley kommt eigentlich jedes Mal schnell zurück. Das weißt du doch.«
    »Ja.«
    »Also?«
    »Nichts also. Ich werde jetzt ins Büro fahren. Entschuldige mich bitte. Und sag dieser neuen Pia vielen Dank für den Eistee.«
    Draußen steige ich direkt in eine Trambahn, in Linie zwei, um etwas Zeit zu sparen. Eigentlich fahre ich nur ganz selten mit der Tram, denn die Bahnen sind langsam, langsamer als Fahrräder in jedem Fall, und sogar langsamer als manche Sportler. Aber ich habe das Gefühl, dass ich in letzter Zeit zu viel auf den Füßen unterwegs war. Wer immer nur läuft, macht sich zu unabhängig, der verliert vielleicht irgendwann den Bezug zur Gemeinschaft. Die Bahn ist voller Menschen. Ich halte mein Monatsticket in den Raum, aber es gibt niemanden, der es kontrollieren würde. Tramfahrten sind eigentlich nur im Frühling kostenpflichtig, und der hat ja noch gar nicht begonnen. Ich setze mich auf eine Polsterung aus echtem Leder. An der nächsten Station steigt ein junger Mann ein, der mir sofort zunickt, so als hätte er schon vorher gewusst, dass er mich gleich treffen und grüßen würde. Ich brauche einige Sekunden, um zu erkennen, dass es sich bei dem jungen Mann um Frank handelt, die ehemalige Affäre von Wesley. Frank ist ein dürrer, schwarzhaariger Typ, der eine ironische Tätowierung am Unterarm trägt. Er stammt nicht von hier. In Paris soll er Teil einer erfolgreichen Band gewesen sein, das hat Wesley mal erzählt, viel mehr weiß ich aber nicht. Ich grüße ihn mit einem Nicken und hoffe dann, dass er nicht zu mir rüberkommt. Also blicke ich starr zum Fenster hinaus und versuche nicht darauf zu achten, wo in der Tram sich Frank gerade aufhält. Dabei weiß ich es eigentlich die ganze Zeit, er steht nämlich auf der anderen Seite, halb verdeckt von vier älteren Damen. Ich weiß, dass er mich beobachtet. Und als ich mich von dem Lederpolster erhebe und aussteige, da steigt plötzlich auch Frank aus. Er folgt mir.
    Vor einiger Zeit, es müsste etwa sieben Wochen her sein, da saßen Wesley und ich und dieser Frank in einer Bar für deutsches Bier und redeten. Es ging meistens um den Frühling. Unter anderem um Situationen, in denen wir viel zu nüchtern auf Events auftauchten, auf denen Colemen-Rum in diversen Mixvarianten angeboten wurde und wo alle längst gesungen oder geknutscht haben. Während Wesley und ich unsere Geschichten gegenseitig ergänzten, wurden immer wieder volle Biergläser vor uns abgestellt. Weil es schmale Gläser und keine Krüge waren, wirkten die eigenen Geschichten von Glas zu Glas dynamischer auf uns, und immer häufiger mussten wir lachen, während wir erzählten. Dieser Frank ließ sich von unseren Anekdoten regelmäßig mitreißen, obwohl es Anekdoten waren, wie sie fast alle wohlhabenden jungen Menschen aus einem Kultur- und Kunstmilieu erzählen könnten. Doch Frank fühlte sich so sehr zu Wesley hingezogen, dass er sich ganz auf unsere Erinnerungswelt einließ und ehrlich lachen musste. Ich habe mich während des Abends gefragt, ob sich Frank eigentlich bewusst machte, was hier gerade geschah: Dass wir uns beliebig austauschbare Geschichten aus unserer jüngeren Partyvergangenheit erzählten, dazu Biere orderten und uns dabei auch noch wohlfühlten. Ich fragte mich, ob Frank sehen konnte, dass dies eine schrecklich erbärmliche Art der Kommunikation und daran eigentlich gar nichts gutzuheißen war. Im Grunde fragte ich mich, ob man diesen tätowierten Frank überhaupt respektieren sollte. Und ich glaube, dass sich auch Wesley das fragte, sonst hätte er sich vielleicht nicht so bald von ihm getrennt.
    Frank war Wesleys vierte feste Affäre, Frauen kamen seltener vor, doch der Kontakt zu der einzigen Frau, für die er einmal viel empfunden haben will, hielt ganze zwei Jahre. Woran das lag, kann ich nicht genau sagen. Als Wesley mir im Alter von einundzwanzig erzählte, dass er nie mehr ein Mädchen küssen wolle, klang er wieder unnötig pathetisch, und das habe ich ihm auch gesagt. Schon eine Woche später küsste
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