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Schiffsmeldungen

Titel: Schiffsmeldungen
Autoren: Annie Proulx
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von ihrem Haus sirrende Leitungen, dick wie Aale.
    Zwinkernden Ärzten schmeichelten sie Rezepte für Beruhigungsmittel ab, horteten die Kapseln. Als es genug waren, diktierte der Vater, die Mutter tippte den Abschiedsbrief, ein Manifest persönlicher Entscheidung und Selbstbefreiung – Sätze, die den Rundschreiben der Gesellschaft für humanes Sterben entnommen waren. Nannten Einäscherung und Verstreuen der Asche als Entsorgungswunsch.
    Es war Frühling. Schwerer Boden, Erdgeruch. Der Wind peitschte durch die Zweige, verströmte einen grünlichen Duft, wie wenn man Flint anschlägt. Huflattich in den Gräben; ungestüme Tulpenflecken, vereinzelt in Gärten. Strömender Regen. Uhrzeiger sprangen vor zu lichten Abenden. Der Himmel in Bewegung wie Karten, gemischt von einer kreideweißen Hand.
    Der Vater stellte den Wasserboiler ab. Die Mutter goß die Zimmerpflanzen. Sie schluckten ihr Kapselgemisch mit Schlafkräutertee.
    Mit letzter, benommener Kraft rief der Vater bei der Zeitung an und hinterließ eine Nachricht auf Quoyles Anrufbeantworter. »Hier spricht dein Vater. Ich rufe dich an. Dicky hat bei sich kein Telefon. Also. Für deine Mutter und mich ist es an der Zeit, daß wir gehen. Wir haben uns dazu entschlossen. Die Erklärung, Anweisungen für den Bestatter und die Einäscherung und alles andere liegen auf dem Eßzimmertisch. Du mußt dich selber zurechtfinden. Ich mußte mich in einer gnadenlosen Welt zurechtfinden, seitdem ich in dieses Land kam. Keiner hat mir je was geschenkt. Andere hätten aufgegeben und wären zum Penner geworden, aber ich nicht. Ich hab’ geschwitzt und geackert, Schubkarren voll Sand für den Maurer gefahren, auf alles verzichtet, damit du und dein Bruder es mal besser haben – nicht, daß ihr viel aus euren Chancen gemacht hättet. Hab’ nicht viel vom Leben gehabt. Setz dich mit Dicky und meiner Schwester Agnis Hamm in Verbindung, erzähl ihnen alles. Die Adresse von Agnis liegt auf dem Eßzimmertisch. Wo die anderen alle hingekommen sind, weiß ich nicht. Sie waren nicht ... « Ein Piepton. Der Platz für eine Nachricht war ausgefüllt.
    Aber der Bruder, geistlicher Oberleutnant in der Kirche vom persönlichen Magnetismus, hatte ein Telefon und Quoyle seine Nummer. Es zog ihm den Magen zusammen, als die verhaßte Stimme durch den Hörer drang. Verstopftes Näseln, Schnaufen durch die Polypen. Der Bruder sagte, er dürfe nicht zu religiösen Feierlichkeiten für Außenstehende kommen.
    »Von so beschissenem Aberglauben halte ich nichts«, sagte er. »Bestattungen. In der KPM gibt’s da eine Cocktailparty. Wo hast du übrigens einen Geistlichen aufgetrieben, der bei Selbstmördern predigt?«
    »Hochwürden Stain gehört zu ihrer Gruppe für humanes Sterben. Du solltest kommen. Wenigstens, um mir beim Kelleraufräumen zu helfen. Vater hat da unten ungefähr vier Tonnen alte Zeitschriften zurückgelassen. Mensch, ich hab’ mit ansehen müssen, wie unsere Eltern aus dem Haus getragen wurden.« Hätte fast geschluchzt.
    »Ey, Speckarsch, haben sie uns was hinterlassen?« Quoyle wußte, was er meinte. »Nein. ’ne Riesenhypothek auf dem Haus. Sie haben ihre Ersparnisse ausgegeben. Das ist, glaube ich, der Hauptgrund, warum sie’s getan haben. Na ja, ich weiß schon, daß sie an humanes Sterben geglaubt haben, aber sie haben alles ausgegeben. Die Lebensmittelkette ist bankrott gegangen, und seine Rente ist nicht mehr gekommen. Wenn sie weitergelebt hätten, hätten sie sich Jobs suchen müssen, als Verkäufer im Supermarkt oder so. Ich hab’ gedacht, daß Mutter vielleicht auch ’ne Rente kriegt, war aber nicht so.«
    »Soll das ’n Witz sein? Du mußt ja blöder sein, als ich gedacht hab’. Ey, Kotztüte, wenn was da ist, dann schick mir meinen Anteil. Meine Adresse hast du.« Er legte auf.
    Quoyle legte die Hand übers Kinn.
    Auch Agnis Hamm, die Schwester seines Vaters, kam nicht zur Bestattung. Schickte Quoyle eine Notiz auf blauem Papier; Name und Anschrift waren mit einem Stempel vom Versand-haus gedruckt.
     
    Schaffe es nicht zum Gottesdienst. Komme aber nächsten Monat um den 12. vorbei. Hole die Asche Deines Vaters ab, wie angewiesen, und besuche Dich und Deine Familie. Dann können wir alles bereden. In Liebe, Deine Tante Agnis Hamm.
    Doch bis die Tante ankam, war der verwaiste Quoyle von den Umständen abermals umgeformt, diesmal zum sitzengelassenen und gehörnten Ehemann, zum Witwer.
     
    »Pet, ich muß mit dir reden«, hatte er mit überfließender Stimme
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