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Schicksalsmord (German Edition)

Schicksalsmord (German Edition)

Titel: Schicksalsmord (German Edition)
Autoren: Fiona Limar
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Ines Helmchen räusperte sich, bevor sie fortfuhr. „Zu Hause sah ich mir die drei Briefe, die ich von Dietrichs Schreibtisch mitgenommen hatte, genauer an. Einer war an Edelburg Tanner, einer an seine Tochter Carola gerichtet. Die habe ich nicht angerührt. Der dritte war an die Polizei, und den habe ich geöffnet. Auf eine Straftat mehr oder weniger kam es nun nicht mehr an.“ Sie lächelte ironisch. „Der Brief enthielt nichts Belastendes, im Gegenteil. Es war der typische Abschiedsbrief eines gewissenhaften Anwalts. Er habe aus freiem Entschluss gehandelt, hieß es, niemand habe ihn bedrängt und niemand habe ihm geholfen.
    Ich habe dann erstmal abgewartet, was weiter geschehen würde. Dietrichs Ableben ging nicht wie erwartet als natürlicher Tod durch, und plötzlich war der Mordvorwurf gegen Lydia in der Welt. Den Schreckschuss habe ich ihr ehrlich gesagt gegönnt, aber weiter wollte ich es nicht treiben. Ich bin mit den Briefen in der Tasche zu Edelburg Tanner gefahren, um alles aufzuklären. Sie sollte es als erste erfahren, anschließend wollte ich zur Polizei.
    Ja, und dann kam es ganz anders. Edelburg stand völlig neben sich, so kannte ich sie überhaupt nicht. Sie dachte, ich wollte ihr kondolieren und fing gleich an, ihr leid zu klagen. Carola ginge es sehr schlecht, schwere Depression, Suizidgefahr. Sie wisse noch nichts von Dietrichs Tod und werde in der Klinik abgeschirmt.
    Ich kenne Carola von Kindheit an und habe sie sehr gern, sie ist ein außergewöhnlich intelligentes, jedoch feinnerviges und sensibles Mädchen. Und sie hat die depressive Neigung ihres Vaters geerbt. Trotz ihrer überragenden Leistungen litt sie ständig unter Minderwertigkeitsgefühlen, Misserfolge konnten sie ziemlich aus der Bahn werfen. Ich nehme an, Ihre Schwester wird Ihnen Carola ganz anders beschrieben haben, doch glauben Sie mir, Carolas Kühle und Ironie waren nur Fassade, dahinter verbarg sich eine tief verwurzelte Angst.
    Edelburg erzählte mir, was Lydia Carola angetan hatte, genau nach dem gleichen Schema, nach dem sie mich damals kompromittiert hatte. Und dann sagte Edelburg etwas Ungewöhnliches, geradezu Bestürzendes: 'Ich bin froh dass es Mord war, einen Selbstmord ihres Vaters würde Carola niemals verkraften.'
    Sie erzählte mir, dass es unmittelbar vor Carolas Zusammenbruch eine Auseinandersetzung zwischen ihr und ihrem Vater gegeben hatte. Carola habe ihn angeschrien, er sei an allem Unglück schuld, weil er Lydia in die Familie geholt habe. Ihr Leben, ihre Arbeit, alles sei ruiniert, ihr Ruf in der Branche für immer zerstört. Sie wolle mit ihren Kindern weit weggehen und ihn nie wiedersehen. Wenn Carola die Nerven durchgingen, neigte sie zu solchen hysterischen Ausbrüchen. Sie hätte sich beruhigt und mit ihrem Vater versöhnt. Sie brauchte nur etwas Zeit. Das besonders Tragische ist, dass Dietrich an jenem Freitag im Februar in der Klinik angerufen hatte und Carola sprechen wollte. Sie hatte das verweigert, sie fühlte sich noch nicht zu so einem Gespräch in der Lage. Wenig später war er tot. Man hat das Carola lange verschwiegen und tatsächlich wirkte es sich verheerend auf ihren Gemütszustand aus, als sie es schließlich erfuhr. Sie leidet, weil sie ihn ohne ein Wort der Versöhnung sterben ließ, doch sie gibt sich wenigstens nicht die Schuld an seinem Tod. Denn ich bin gegangen und habe die Briefe wieder mitgenommen. Ich wollte Carola schützen.“
    Ines Helmchen schwieg eine Weile und auch ich schwieg. Ich musste erst verarbeiten, was ich gehört hatte. „Und jetzt?“, fragte ich schließlich ratlos.
    „Ich weiß es nicht“, lautete die nicht weniger ratlose Antwort. „Ich habe zu lange gezögert. Ich dachte immer, die Lösung würde sich von allein ergeben. Lydia würde irgendwie entlastet werden und die Sache im Sande verlaufen. Doch das Gegenteil scheint der Fall zu sein. Dann wollte ich wieder abwarten, bis es Carola besser geht. Aber sie erholt sich nicht. Es ist wie verhext. Ich will Carola immer noch schützen und ich hege wahrhaftig keine Sympathien für ihre Schwester. Ich habe mein Zögern auch damit gerechtfertigt, dass ich Lydias Schuld in meiner Vorstellung größer machte. Immer wieder habe ich mich gefragt, was sie zu der Zeit in der Kanzlei gewollt hatte. Hätte sie Dietrichs Suizid verhindern können und hat es unterlassen? Hatte sie ihn sogar direkt dazu getrieben? Ich stellte es mir so vor. Doch als ich Sie heute auf dem Friedhof vor mir hergehen sah, da begriff
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