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Schicksal!

Schicksal!

Titel: Schicksal!
Autoren: S.G. Browne
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schwebt ihr roter Baumwolltanga über mir durch die Luft, während sie auf mich herabblickt und sich mit der Zunge über die Lippen fährt.
    Wir können einander auch dann sehen, wenn wir unsichtbar sind. Die Menschen aber sehen uns nur, wenn wir es wollen oder wenn einer von uns mit einem anderen Unsterblichen auf Tuchfühlung geht. Allerdings geschieht das nicht öfter als ein paarmal pro Jahrhundert – in der Öffentlichkeit, meine ich. In den meisten Fällen sind
Lust
und wenigstens eine der anderen Todsünden daran beteiligt, obschon auch
Selbstbeherrschung
mehr als einmal die Beherrschung verloren hat.
    Regel Nummer  5 : Nimm niemals deine sichtbare Gestalt vor Menschen an.
    Das letzte Mal passierte es 1918 in Chicago.
Zorn
und
Neid
brachen damals eine Kneipenschlägerei vom Zaun, weil die Red Sox die Cubs in den Meisterschaften geschlagen hatten.
Neid
ist Cubs-Fan und
Zorn …
Na ja, sagen wir einfach: Er weiß, welche Knöpfe er bei
Neid
drücken muss.
    Ich war nicht dort, aber es muss eine ziemliche Keilerei gegeben haben. Die offizielle Geschichtsschreibung erwähnt diesen Vorfall nicht, aber es war wohl der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte, der zum 18 . Zusatzartikel zur Verfassung der Vereinigten Staaten führte und den Amerikanern somit vierzehn Jahre Alkoholprohibition bescherte.
    Wir sollen Vermittler sein, keine Anstifter. Wir sollen keinen entscheidenden Einfluss auf das Leben der Menschen nehmen, sondern auf ihren verschlungenen Wegen und bei ihren Gefühlsausbrüchen einfach nur unsere Rollen spielen. Von Zeit zu Zeit baut einer von uns Mist, direkt oder indirekt, mit katastrophalen Folgen in unterschiedlicher Abstufung. Für so etwas werden Unsterblichen ihre Kräfte genommen. Und das ist richtig peinlich. Fragt bloß mal
Frieden
danach.
    Übrigens sind wir nicht immer unsichtbar – nur dann, wenn wir es so wollen. Einer der Vorteile, wenn man unsterblich ist. Das und die Unterbringung.
    Ich lebe in der Upper East Side von Manhattan. Mein Dreizimmerapartment im zwanzigsten Stock hat Parkettböden und Panoramafenster mit Blick auf den East River. Der Wachdienst ist rund um die Uhr tätig, der Portier sorgt für die Verpflegung, und es gibt außerdem ein Wellnesscenter und einen Dachgarten.
    Die Wohnung kostet 3990  Dollar pro Monat, aber ich wohne hier umsonst. Keine schlechte Vergünstigung dafür,
Schicksal
zu sein. Es sei denn, man vergleicht es mit
Bestimmungs
vierhundert Quadratmeter großem Altbau-Loft in SoHo, mit Blick auf den Hudson River, Holzböden, zentraler Klimaanlage und Marmorbad. Sie will mir nicht verraten, wie viel die Wohnung kostet, aber ich habe nachgeschaut und herausgefunden, dass sie für 12   000  Dollar zu haben ist.
    Vermutlich sollte ich mich nicht beschweren. Teddy lebt in der Lower East Side im Souterrain: ein Zimmer, vergitterte Fenster, Betonwände und Blick auf die angrenzende Gasse. Andererseits, wo sonst sollte der Tod wohl leben?
    Bestimmung
bewegt sich über mir, das rote Haar zum Zopf gebunden, die perfekten Brüste und Nippel kaum mehr als einen Zentimeter von meinen Lippen entfernt. Es fällt mir schwer, standhaft zu bleiben und sie nicht zu berühren. Andererseits hasse ich sie so sehr, dass ich ihr keine Befriedigung geben will, die sie sich nicht selbst verschafft hat.
    Außerdem ist der Hausverwalter mit uns auf dem Dach und zeigt einer Interessentin Garten und Ausblick. Sehen kann ich sie nicht, doch dafür kann ich hören, wie sie auf der anderen Seite der Azaleen und Rosenbüsche über die Benimmregeln auf der Dachterrasse reden. Die ich zumindest gegenwärtig nicht einhalte.
    Die Stimme des Verwalters ist nasal und schrill. In zwanzig Jahren wird er obdachlos sein und Leute von einer Bank im Central Park aus beschimpfen, während er in der Nase popelt.
    Die Stimme der Frau ist warm und honigsüß, wie ein Tenorsaxophon in einer einsamen Nacht in New Orleans. Aber ich kann sie nicht lesen, was bedeutet, dass sie sich auf dem Pfad der Bestimmung befindet. Geboren, um etwas Höheres zu erreichen als der Großteil der menschlichen Rasse. Doch obwohl ich sie nicht lesen kann, fasziniert mich etwas an ihr. Irgendetwas in ihrer Stimme zieht mich zu ihr. Etwas, das ich nicht einordnen kann, das mich ablenkt. Und zwar so sehr ablenkt, dass ich diesem Ruf nachgebe. Mich … erweichen lasse, um es mal so auszudrücken.
    Bestimmung
bemerkt es sofort.
    Mit jener geschickten und schnellen Bewegung, zu der nur eine Frau fähig ist, landen ihr
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