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Scherbenhaufen

Scherbenhaufen

Titel: Scherbenhaufen
Autoren: Gmeiner-Verlag
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Kantonspolizei Bern. Könnten Sie mir den Juniorchef an den Apparat holen?« Anton Geissbühler runzelt die Stirn. »Aha … Und sein Vater? … Gut, ich warte.«
    An mich gewendet bemerkt er: »Sonderbar …«
    Am andern Ende der Leitung scheint sich erneut jemand zu melden. Hauptmann Geissbühler neigt den Oberkörper nach vorn und stützt den rechten Ellbogen auf die Schreibtischplatte. »Guten Tag, Herr Weihermann. Ich möchte mich mit ihrem Sohn unterhalten. Wissen Sie, wo ich ihn erreichen kann? … Nein? … Seit wann? … Aha. Und sein Handy? Abgeschaltet? … Ich verstehe.«
    Fragend fixiere ich Geissbühlers Lippen. Ich ahne das Unheil voraus, das sie gleich verkünden werden.
    »Nein, nein. Eine offizielle Vermisstenanzeige wäre verfrüht, Herr Weihermann. Ich bespreche die Angelegenheit mit meinem Stab und rufe danach zurück«, verspricht der Hauptmann und beendet das Gespräch.
    »Der Junge ist ebenfalls abgetaucht?«, erahne ich.
    »So ist es«, bestätigt Anton Geissbühler.
    »Ob Niklaus und Eva gemeinsam ausgebüxt sind?«
    Hauptmann Geissbühler rollt die Lippen nach innen und brummt. »Daran habe ich auch gerade gedacht. Was könnte die beiden veranlasst haben, Reißaus zu nehmen?«
    »Vielleicht das schlechte Gewissen?«
    In diesem Moment schellt das Telefon. Der Hauptmann unterhält sich kurz mit dem Gerichtsmediziner. Das Gespräch kreist um die Frage der Identität der Wasserleiche auf der Kleistinsel. Anschließend wendet sich Anton Geissbühler an mich und verkündet schnörkellos: »Beim Opfer handelt es sich um den Gerichtspräsidenten Adam Füssli. Ein Ruderunfall wird als Todesursache ausgeschlossen.«
    Die Mitteilung überrascht mich nicht besonders. Meine Gedanken kreisen vielmehr um die beiden Vermissten. »Wir sollten das Pärchen finden, bevor es zu spät ist.«
    Tatsächlich entfesselt der Hauptmann eine nie gesehene Hektik.
     
     
     
     

27
    Überlegen macht überlegen.
    Ich grüble eine Weile nach, fahre schließlich zum Seeclub und halte Ausschau nach einer Auskunftsperson. Eines der beiden Tore steht offen. Ich recke den Kopf durch den Türrahmen und verkünde vorsichtshalber meine Anwesenheit: »Hallo?«
    Keine Reaktion.
    Ich trete in das getäferte Clubhaus und rufe inmitten der ausgewasserten Armada: »Ist da wer?«
    Offenbar nicht. Auf fünfstöckigen Metallständern lagern schlanke Boote bis zur hölzernen Decke. Die langen Vierer und Achter sind mehrheitlich aus Fiberglas gefertigt und liegen Kiel oben im Trockenen. Ein Ausleger markiert wie mit steifen Armen die Horizontale, gabelt den Tragriemen meiner Umhängetasche auf und stiehlt mir die Bagage von der Schulter.
    In den höheren Stapellagen erspähe ich ein schlankes Skiff aus rotbraun lackiertem Holz. Gleicht das Material des einplätzigen Ruderbootes nicht jenem im Strudel der oberen Schleuse? Im Regal ist eine Lücke auszumachen.
    Der Raum wird von kalt leuchtenden Neonröhren erhellt. An seiner Rückwand hängt eine verwaiste Schwimmweste über einem zerbrochenen Holzruder. Ich spähe durch die Zwischenräume der Bootsstapel und bemerke eine Treppe, die in den ersten Stock führt.
    »Hallo?«, wiederhole ich mein Rufen, denn ich möchte, falls doch noch jemand auftaucht, nicht für einen Eindringling gehalten werden. Wieder verhallt es ungehört. Schade, denn zu gern hätte ich erfahren, wer sich hier am Tag vor dem Leichenfund ein Boot ausgeliehen hat. Existiert allenfalls ein Reservations- oder Fahrtenbuch? Hängt irgendwo eine Liste, der man die Namen der Ruderer entnehmen könnte? Meine indiskrete Inspektion fördert nichts Entsprechendes zutage.
    Enttäuscht verlasse ich das Bootshaus. Vor mir liegt der hölzerne Einwasserungssteg mit der unübersehbaren weißen Markierung: ›Privat – Seeclub Thun – Privat!‹ Die Beschriftung weckt die Vermutung, dass Mitglieder des konkurrierenden Ruderclubs abgeschreckt werden sollen. Mit dem Entscheid, entweder dem See- oder dem Ruderclub beizutreten, würden Weichen und Ruder fürs Leben gestellt, heißt es landläufig. Ob das seit Kurzem auch fürs Sterben gilt?
    Als ich im Begriff bin, den überdeckten Vorplatz in Richtung der Kleistinsel zu verlassen, ertönt im Clubhaus hinter mir ein lauter Knall. Ist doch wer dort?
    Ich kehre gespannt zwischen die Bootsstapel zurück. Dieses Mal verhalte ich mich möglichst ruhig. Kein freundliches ›Hallo‹ soll mein erneutes Eindringen verraten. Ich pirsche in geduckter Haltung durch das Magazin. Vor der
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