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Schauen sie sich mal diese Sauerei an

Schauen sie sich mal diese Sauerei an

Titel: Schauen sie sich mal diese Sauerei an
Autoren: Jörg Nießen
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gehen wir denn?«, fragte Hein. »Ist bei einer Acht ziemlich egal, oder?« Ich wandte mich nach links in den hellgelb gestrichenen Flur. Bis jetzt herrschte Totenstille, ein Umstand, der so gar nicht zur Beschreibung des Pförtners passte. Wir bogen nach rechts um eine Ecke und sahen endlich den ersten Bewohner. Ein Mann saß mit dem Rücken zu uns gewandt in circa zehn Meter Entfernung an einem Tisch. Sein Oberkörper war merkwürdig nach vorn gebeugt, und eine insgesamt kraftlose Körperhaltung ließ uns stutzig werden. Hein trat besorgt auf den Mann zu. »Das darf doch nicht wahr sein!«, entfuhr es ihm. Der Mann war lediglich eingeschlafen, ein beruhigendes und regelmäßiges Atemgeräusch war zu hören. Leider lag er mit seiner Stirn samt Haaransatz in einem tiefen Teller Haferschleimsuppe. Sanft fasste ich den Mann an den Schultern. Schon die zweite Person, die ich in diesem Altenheim wecken musste. Der Kopf hob sich, und der Rücken streckte sich, dabei lief ihm ein wenig Suppe durchs Gesicht, was er mit einem übellaunigen »gruuu gruuu uuuhhh!« quittierte. »Können Sie uns sagen, was hier passiert ist oder wo wir die Pflegekräfte finden können?«, versuchte Hein an Informationen zu gelangen. Ein erneutes »gruuu gruuu uuuhhh!« machte jede weitere Frage überflüssig. »Na ja, wenigstens haben wir jemanden vor dem sicheren Ertrinkungstod bewahrt. Ich sehe schon die Schlagzeile: >Mann in Suppenteller ertrunken, Todesursache: Haferschleime Gott sei Dank waren wir rechtzeitig hier«, motzte Hein vor sich hin. Wir bogen rechts um die nächste Ecke und sahen in einiger Entfernung eine geschlossene gläserne Brandschutztür. Mein Bauchgefühl sagte mir: Hinter dieser Tür wird sich die Situation drastisch verändern. Mein Bauch sollte recht behalten. Hein öffnete die Tür, und sofort änderte sich die Geräuschkulisse. Ein Gewirr aus Stimmen und Schreien lag in der Luft. Wir beschleunigten unsere Schritte und bogen erneut rechts um eine Ecke. Was wir sahen, hatte Züge der Apokalypse. Ein Sozialbereich, bestehend aus Handarbeitsecke und Kaffeebar, war kaum noch als solcher wiederzuerkennen. Mehrere ältere Damen saßen, großflächig mit Kuchen beschmiert, weinend in einer Ecke. Ein Wärmebehälter für Kaffee oder Tee lag auf dem Boden und lief langsam aus. Im gesamten Aufenthaltsbereich lag zerbrochenes Geschirr auf dem Boden verteilt, und die Vorhänge an einem Fenster waren halb abgerissen. Von einem Tulpenstrauß waren alle Blüten abgerissen und über den Boden verteilt worden. Dramatischer Gipfel des Ganzen war aber ein umgestürzter Rollstuhl, neben dem ein älterer Herr mit Glatze in einen Ringkampf mit einer Pflegerin verwickelt war. Kneifend und kratzend wälzten sich zwei Leiber auf dem Boden. Im Augenblick unseres Erscheinens gewann die Pflegekraft die Oberhand und nahm den haarlosen Bewohner in den Schwitzkasten. Hein griff sofort schlichtend ein und versuchte, die Kontrahenten zu trennen. »Jetzt seien Sie doch vernünftig!«, brüllte Hein, als er die um den Hals des Senioren verschlossenen Arme der Pflegekraft gewaltsam löste. Die Damen in der Ecke weinten immer noch, und ein verstörter Herr mit Hosenträgern und Urinbeutel am Hosenbund rief immer wieder lauthals: »Ja, ja, und dann kam die Räumung!« Nur langsam beruhigte sich die Situation. Hein hatte mittlerweile die Pflegekraft vom Bewohner getrennt, und ich versuchte, den Herrn wieder in seinen Rollstuhl zu setzen. Dies war leichter gesagt als getan, Freund und Feind wurde noch nicht unterschieden. Ein kraftloser Hagel aus Faustschlägen prasselte auf mich hernieder. Als dies keine Wirkung zeigte, wurde mir an den Haaren gezogen, und langsam fragte ich mich, wer sich hier gegen wen verteidigte. Außer Atem stand die Pflegerin an Hein gelehnt und schluchzte bitterlich: »Mein Name ist Lena, und ich möchte Ihnen von Herzen danken. Danke, dass Sie gekommen sind! Diese Monster hier wollen mich fertigmachen.« Die immer wiederkehrende Frage »Was ist denn überhaupt passiert?« formulierte Hein in beruhigendem Tonfall. Lena begann ihre Schilderung: »Es war Zeit für den Nachmittagskaffee. Ich hab alles vorbereitet. Ich bin doch ganz allein heute hier. Nur Urlauber und Kranke, die hier arbeiten. Alle Kollegen haben mich im Stich gelassen - ich bin doch ganz allein.« »Lena, ich muss auf Toilette, Sie müssen mir helfen!«, unterbrach sie eine der Damen aus der Sitzecke. »Ruhe jetzt! Den halben Tag arbeite ich an Körperöffnungen, das
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