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Schattenstunde

Schattenstunde

Titel: Schattenstunde
Autoren: Kelley Armstrong
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was ich ausgesucht hätte, aber es sieht okay aus. Wenn es dir gefällt … darauf kommt es an.« Er kratzte sich am Hals, die Haut war vom Bartschatten wie gesprenkelt. »Ich nehme an, deine Tante Lauren hat dir das mit der betreuten Wohngruppe erzählt. Sie hat eine Einrichtung gefunden, von der sie glaubt, dass sie soweit ganz in Ordnung wäre. Klein und privat. Ich kann nicht behaupten, dass ich von der Vorstellung begeistert bin, aber es ist ja bloß für zwei Wochen.«
     
    Niemand wollte mir sagen, was eigentlich mit mir los war. Ich musste mit einer Menge Ärzte reden, sie führten ein paar Tests durch, und ich merkte ihnen an, dass sie eine ziemlich klare Vorstellung davon hatten, was es war, und es mir einfach nicht verrieten. Das bedeutete, dass es übel sein musste.
    Es war nicht das erste Mal, dass ich Leute gesehen hatte, die nicht wirklich da waren. Das war es auch, worüber Tante Lauren nach der Schule mit mir hatte reden wollen. Als ich meinen Traum erwähnte, war ihr eingefallen, dass ich früher über Leute in unserem alten Keller gesprochen hatte. Meine Eltern hatten geglaubt, dass es einfach eine ungewöhnlich kreative Variante von erfundenen Freunden gewesen war, denn ich hatte eine ganze Belegschaft von Figuren erfunden. Aber dann hatten diese Freunde angefangen, mir Angst zu machen, und wir waren umgezogen.
    Auch danach hatte ich gelegentlich noch Leute »gesehen«, woraufhin mir meine Mom den roten Anhänger gekauft und gesagt hatte, er würde mich beschützen. Dad sagte, das sei reine Psychologie gewesen: Ich hatte geglaubt, er würde wirken, und so hatte er es auch getan. Aber jetzt passierte es wieder. Und dieses Mal schob es niemand auf eine überaktive Einbildungskraft.
    Sie schickten mich in ein Heim für geistesgestörte Teenager. Sie glaubten, ich wäre verrückt. Ich war nichts dergleichen. Ich war fünfzehn und hatte endlich meine Periode gekriegt, und das musste irgendwas zu bedeuten haben. Es konnte ja kein Zufall sein, dass ich am gleichen Tag angefangen hatte, dieses ganze Zeug zu sehen. Die ganzen aufgestauten Hormone mussten explodiert sein, in meinem Hirn hatte es eine Fehlzündung gegeben, und es hatte Bilder aus irgendwelchen vergessenen Filmen nach oben gespült und mich glauben lassen, sie wären Wirklichkeit.
    Wenn ich verrückt wäre, würde ich mehr tun als einfach nur Leute sehen und hören, die nicht da waren. Ich würde mich verrückt verhalten, aber das tat ich nicht.
    Oder?
    Je länger ich darüber nachdachte, desto weniger war ich mir da sicher. Ich fühlte mich normal. Ich konnte mich nicht erinnern, irgendetwas Verrücktes getan zu haben. Außer dass ich mir auf dem Schulklo die Haare gefärbt hatte. Und die Unterrichtsstunde geschwänzt hatte. Und den Bindenautomaten aufgebrochen hatte. Und auf einen Lehrer eingeschlagen hatte.
    Das Letzte zählte nicht. Ich war panisch gewesen, weil ich den verbrannten Typen gesehen und versucht hatte, ihm zu entkommen. Ich hatte niemanden verletzen wollen. Davor war mit mir alles in Ordnung gewesen. Meine Freundinnen hatten den Eindruck gehabt, dass alles in Ordnung war. Mr. Petrie hatte geglaubt, es wäre alles in Ordnung, als er mich auf die Auswahlliste für die Regie gesetzt hatte. Nate Bozian glaubte offensichtlich, es wäre alles in Ordnung. Kein Mensch würde sich darüber freuen, wenn eine Verrückte zu einer Party kommen würde.
    Er hatte sich doch gefreut, oder?
    Wenn ich jetzt daran zurückdachte, kam mir alles verschwommen vor, wie eine ferne Erinnerung, die ich vielleicht auch nur geträumt hatte.
    Was, wenn nichts von all dem wirklich passiert war? Ich hatte die Regie
gewollt
. Ich hatte mir
gewünscht
, dass Nate sich für mich interessieren würde. Vielleicht hatte ich mir alles eingebildet? Es halluziniert, genau wie den Jungen auf der Straße und das weinende Mädchen und den verbrannten Hausmeister?
    Wenn ich verrückt wäre, würde ich es dann überhaupt wissen? Das war es doch schließlich, was Verrücktheit ausmachte, oder? Man selbst hielt sich für normal, aber alle anderen wussten es besser.
    Vielleicht war ich ja verrückt.
     
    Mein Vater und Tante Lauren fuhren mich am Sonntagnachmittag nach Lyle House. Sie hatten mir, bevor ich das Krankenhaus verlassen durfte, irgendein Medikament gegeben, das mich schläfrig machte. Unsere Ankunft war eine Montage aus Standbildern und kurzen Clips.
    Ein riesiges weißes viktorianisches Haus mitten auf einem gigantischen Grundstück. Gelbgestrichene
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