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Schattenschmerz

Schattenschmerz

Titel: Schattenschmerz
Autoren: Rose Gerdts
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auseinander.
    Steenhoff konnte nicht glauben, was er gerade gehört hatte. «Jorges will dich verlassen?»
    «Nein», beschwichtigte Petersen ihn sofort. «Unsere Beziehung ist so weit okay.»
    Steenhoff sah sie zweifelnd an.
    «Aber Jorges hat das Angebot bekommen, für zwei Semester in die USA zu gehen. Da greift er natürlich zu.»
    «Wieso
natürlich
? Schließlich lässt er dich hier zurück.»
    Er verstand Jorges nicht. Eine Frau wie Navideh ließ man nicht monatelang allein. Im Präsidium gab es immer reichlich Männer, die um sie herumschwirrten. Petersen schien die Verehrer zwar nicht zu bemerken, aber er, Steenhoff, wusste genau, warum in ihrem kleinen Büro ständig Kollegen unter einem Vorwand vorbeischauten.
    Petersens Stimme klang fast eine Spur mütterlich, als sie ihm antwortete: «Frank, ich kann doch mal ein paar Monate ohne Jorges auskommen. Deswegen ist doch nicht gleich unsere Beziehung gefährdet.»
    «Und warum hockst du dann seit deiner Rückkehr so stumm und still auf deinem Bürostuhl? Du weigerst dich ja sogar, diesen gruseligen Tee zu trinken, den du sonst literweise in dich hineinschüttest!»
    «Erstens finde ich den alten, ungelösten Fall, den mir Bernd Tewes auf den Tisch gelegt hat, spannend, und zweitens …» Sie machte eine Pause.
    «Und zweitens?», half Steenhoff nach und sah sie aufmunternd an.
    «Und zweitens habe ich den Eindruck, dass Jorges und ich besser miteinander auskommen, wenn wir nicht zusammen wohnen. Außerdem will ich aus der alten Wohnung in der Alexanderstraße raus. Denn irgendwie erinnert mich immer noch alles an die Zeit mit Vanessa. Außerdem kommt mir nachts oft mein Bruder in den Sinn … Du weißt schon.»
    Steenhoff sah sie besorgt an. Er hatte gehofft, dass sie schon mehr Abstand zu dem Überfall bekommen hatte. Es war gleich zu Beginn ihrer Zusammenarbeit in der Mordkommission passiert.
    Petersen hatte als junge Frau einen Bremer Jurastudenten geheiratet, um aus der Enge ihrer persischen Familie auszubrechen. Doch die Beziehung ging schnell in die Brüche. Sie ließ sich scheiden, behielt den deutschen Nachnamen und blieb so lange allein, bis sie sich zu ihrer eigenen Überraschung in eine Frau verliebte. Die Beziehung zu der lebenslustigen Vanessa hielt sie nicht nur ihrer Mutter und allen Arbeitskollegen gegenüber streng geheim, sondern auch gegenüber ihrem Bruder. Doch Mahmud wurde misstrauisch und lauerte den beiden Frauen auf. Eines Nachts hatte Navideh ihre Dienstpistole auf den eigenen Bruder richten müssen, um den Wahnsinnigen zu stoppen. Navideh und Vanessa hatten Monate gebraucht, um über den Vorfall hinwegzukommen. Dennoch hatte ihre Beziehung in jener Nacht erste tiefe Risse bekommen. Im darauffolgenden Jahr verließ Vanessa die gemeinsame Wohnung. Angeblich, weil Navideh als Ermittlerin nicht genug Zeit für die Beziehung hatte.
    Steenhoff wusste, dass Petersen Monate später mit dem Straßenkünstler Jorges zusammengekommen war.
    In den wenigen Jahren, in denen Steenhoff Petersen kennengelernt hatte, war das Leben seiner Kollegin wie eine Fahrt auf der Achterbahn verlaufen. Voller Höhen, Tiefen und Überschläge. Sein Leben mit Ira und ihrer inzwischen erwachsenen Tochter Marie kam ihm dagegen fast langweilig vor.
    Petersen warf die verbogene Klammer auf ihre Schreibunterlage und sah Steenhoff direkt an. «Ich überlege die ganze Zeit, ob ich umziehen soll. Vielleicht mit einer Freundin zusammen.»
    «Aber doch nicht etwa mit Judith? Dieser schrägen Fahrradhändlerin?», sagte Steenhoff warnend.
    Petersen zog die linke, geschwungene Augenbraue hoch. «Erstens ist sie nicht schräg, sondern nur ein wenig eigen, und zweitens will ich nichts von ihr, falls du das denkst.»
    Steenhoff hob abwehrend die Hand, als wolle er sagen, dass ihn dies nichts angehe.
    Petersen zuckte die Schultern und reckte sich. Steenhoff stand auf.
    «Jetzt, wo du wieder mit deinem Kollegen redest, erzähl mir doch mal, was du so spannend an dem alten Mordfall findest.»
    Erleichtert, dass Steenhoff das Thema endlich fallenließ, reckte sich Petersen und suchte nach dem grünen Klebestreifen, den sie einige Seiten zuvor in die dicke Ermittlungsakte geklebt hatte.

[zur Inhaltsübersicht]
    03
    In der vorletzten Oktoberwoche zog Navideh Petersen um.
    Mehrere Kollegen hatten sich sofort bereit erklärt, ihr zu helfen. Auch Steenhoffs Frau Ira hatte ursprünglich mit anpacken wollen. Doch dann musste sie für ein paar Tage auf die Insel Gozo, wo sie als Maklerin
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