Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Schattenmenagerie

Schattenmenagerie

Titel: Schattenmenagerie
Autoren: Dieter Buehrig
Vom Netzwerk:
während der Mann mit beiden Händen den Torrahmen versperrte. »Was wollen
Sie? In dieser Jahreszeit gibt es keine Besichtigungen. Haben Sie das Schild nicht
gelesen? Ist doch wohl deutlich, oder?« Mit lauerndem Blick fügte er hinzu: »Und
wenn Ihnen das nicht gefällt, rufe ich die Polizei.«
    »Polizei? Die können Sie gleich
haben.«
    Kroll kramte umständlich seinen
Dienstausweis aus dem Mantel und hielt ihn dem Mann vor die Nase. »Hier. Inspektor
Kroll von der Regionalen Kriminalbehörde Lübeck.« Im tiefen Schatten der Durchfahrt
war wenig zu erkennen. »Gehen wir in die Sonne. Da können Sie alles genau prüfen.«
    Der Mann lenkte plötzlich ein. Offenbar
wollte er nicht aus dem Schatten heraustreten.
    »Schon gut. Ich glaub’s Ihnen. Aber
heutzutage kann man nicht vorsichtig genug sein. Hier läuft so viel Gesindel herum
und immer wird was gestohlen.«
    »Da sind doch Leute im Schloss.
Woher kommt denn das Orgelspiel?«, hakte Kroll nach.
    »Ach, das sind nur die Gören vom
Waisenhaus. Der Herzog hat ihnen erlaubt, eine kleine Totenfeier zu Ehren eines
Gönners abzuhalten. – Rührseliger Unsinn! Die besudeln nur die Räume, und ich muss
ihnen wieder alles hinterherräumen. Wenn es nach mir gegangen wäre …«
    »Offenbar geht es nicht immer nach
Ihnen. Und hoffentlich bleibt das auch so«, wagte Micha sich zu Wort. Der Mann schaute
verächtlich auf sie herab und murmelte irgendetwas Unverständliches vor sich hin,
was so klang wie ›Freche Rotzgöre‹.
    Krolls Augen
hatten sich inzwischen etwas an die Dunkelheit gewöhnt. Aber dennoch konnte er sein
Gegenüber nur schemenhaft erkennen. Der Inspektor hatte es sich angewöhnt, zuerst
das Schuhwerk seiner Gesprächspartner zu mustern, bevor er deren Gesichtszüge fixierte.
Der Mann trug derbe, aber soweit Kroll erkennen konnte, saubere und gepflegte knöchelhohe
Halbschuhe. Die Kniebundhose ließ ihn wie einen Jäger erscheinen, dachte er sich.
Aber der Rest passte nicht dazu. Er bestand aus Arbeitsjackett und einem weißen
Hemd samt Krawatte.
    Vom Gesicht erkannte Kroll nur wenig.
Er konnte nichts Auffälliges bemerken. Der Mann war ein Paradebeispiel an Unauffälligkeit.
Wie sein Nachbar. Vielleicht hat dieser Mann einen ähnlichen Beruf, dachte sich
Kroll.
    Einzig die Augen stachen trotz der
Dunkelheit hervor. Es schien fast so, als würden sie von innen heraus leuchten.
Es war aber ein kaltes, unpersönliches Leuchten, was sogar die kleine Micha regelrecht
erschreckte. Der Mann blinzelte kein einziges Mal, und sein Blick war starr auf
Kroll gerichtet. Endlich hatte der Inspektor einen Gegner, der seinem wachen, forschenden
Blick nicht auswich, wie das eigentlich immer der Fall war.
    »Und wer sind Sie?«, fragte Kroll,
jetzt sichtlich selbstbewusster. »Und was gibt Ihnen das Recht, uns derartig streng
am Betreten des Schlosses zu hindern?«
    »Diabelli,
Luciano Diabelli. Ich bin der Schlossverwalter. Ich verwalte die Geschicke des Schlosses.
Ich bin, wenn Sie so wollen, der Herrscher seines Inventars, seiner Geister und
– seiner Seelen.« Seine Augen loderten für einen Moment wild auf.
    »Der Herzog hat mich beauftragt,
das Gebäude außerhalb der Besichtigungszeiten vor neugierigen Besuchern zu schützen.«
Seine Stimme klang recht hoch und schneidend, als würde er die Arie des Mephistopheles
›Wehe, wehe über euch‹ aus Busonis ›Doktor Faustus‹ singen.
    »Ich bin kein Besucher, ich bin
aber neugierig. Das gehört zu meinem Job. Es geht um den Tod des Grafen zu Stolberg,
und ich würde mir gern sein Büro anschauen.«
    Jetzt blinzelten die Augen des Mannes
das erste Mal seit Anfang des Gesprächs. »Wenn Sie meinen, – bitte sehr. Aber das
Kind bleibt draußen!«
    Micha lehnte
sich noch enger an ihren Onkel, ergriff heimlich seine Hand und drückte sie bittend.
    »Nein, sie kommt mit. Ich brauche
sie als Zeugin.«
    »Wie Sie wünschen.« Es klang nicht
gerade einladend. »Ich muss aber erst in die Pförtnerloge, um die Schlüssel zu holen.«
    Er drehte sich abrupt um, stiefelte
in den kleinen Raum und öffnete einen Wandschrank. Kroll folgte ihm und schaute
ihm über die Schulter. Der Wachhund funkelte ihn böse an. An einem großen Brett
hingen Dutzende von Schlüsseln an ihren Haken: einfache Bartschlüssel, moderne Sicherheitsschlüssel,
ein paar verrostete Schatullenschlüsselchen und einige riesige Eisenmonster aus
grauen Vorzeiten.
    An einem Haken mit der Beschriftung
›Rodtberes Keller‹ fehlte der Schlüssel. Man sah nur
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher