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Schattenmacht

Schattenmacht

Titel: Schattenmacht
Autoren: Anthony Horowitz
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»Der Junge hat recht.«
    Diesmal applaudierten die Leute noch lauter. Es waren nur noch an die vierzig Zuschauer da, doch sie waren fasziniert. Das war der erste wirklich gute Trick, den sie an diesem Abend gesehen hatten. Sie würden sich noch Tage später fragen, wie die beiden Jungen das wohl gemacht hatten.
    Und keiner von ihnen zog die schlichte Wahrheit in Betracht, obwohl sie die einzig mögliche Erklärung war und ihnen direkt ins Gesicht starrte. Es gab keine Mikrofone. Keine versteckten Hinweise. Keine Codes oder heimlichen Helfer hinter der Bühne. Der Trick war, dass es keiner war. Die beiden Jungen konnten wirklich die Gedanken des anderen lesen.
    Das wusste nur die Nightrise Corporation. Deshalb hatte sie die beiden Männer geschickt. Damit sie sich selbst davon überzeugen konnten.
    Es war Zeit, dass Scott und Jamie Tyler verschwanden.

HINTER DER BÜHNE
    Die Show war vorbei. Scott und Jamie hatten eine halbe Stunde Zeit, bevor die zweite Vorstellung begann, und sie kehrten in ihre Garderobe zurück. Hinter der Bühne verlief ein schmaler Lförmiger Flur mit greller Neonbeleuchtung durch das ganze Gebäude bis zum Hintereingang. Wie gewöhnlich mussten sich die beiden einen Weg durch die Kostüme, Körbe und Requisiten bahnen, die schon für die nächste Vorstellung bereitstanden. Das Nagelbrett von Swami Louvishni lehnte neben Zorros Ketten und seiner Zwangsjacke. Daneben standen eine Kuh aus Pappmaschee und ein kaputtes Klavier, bei dem etliche Tasten fehlten – diese Dinge waren Überbleibsel irgendeiner anderen Show. Der ganze Flur roch nach Essen, denn die Küche eines Motels grenzte an einer Seite direkt an das Theatergebäude. Wenn die Jungen abends gingen, sahen sie das FilipinoKüchenpersonal mit den gestreiften Schürzen und den weißen Papierhüten oft draußen stehen und rauchen.
    Auf ihrem Weg zur Garderobe hörten Scott und Jamie plötzlich ein Winseln, und ein Hund stürmte aus einer der Türen. Es war ein Schäferhund, zehn Jahre alt und auf einem Auge blind. Er gehörte Frank Kirby, der ihn mit auf die Bühne nahm, wenn er Mr Marvano, den Magier, spielte. Zwei Mal pro Abend saß der Hund hinter einem geheimen Spiegel und wartete darauf, in den Käfig zu schlüpfen.
    Jamie bückte sich und streichelte ihm den Kopf. »Hallo, Jagger«, sagte er. Der Hund war nach dem Leadsänger der Rolling Stones benannt worden, aber niemand wusste, wieso.
    »He – Jamie!«
    Frank Kirby warf einen Blick aus seiner Garderobe. Zorro war bei ihm und saß am Tisch. Vor ihm standen ein Glas und eine halb volle Flasche Whisky. Jamie hoffte, dass der Entfesselungskünstler noch nicht zu viel davon getrunken hatte. Einen Abend war er wie üblich mit Handschellen gefesselt und verschnürt in seine Kiste gesperrt worden und dort prompt eingeschlafen. Das hatte ihn eine Woche Lohn gekostet. Er und Kirby verbrachten viel Zeit miteinander. Sie waren beide geschieden. Sie waren beide um die fünfzig. Und – wie Jamie in Gedanken hinzufügte – sie waren beide Versager.
    »Was ist, Frank?«, fragte Jamie. Er lehnte sich an den Türrahmen und spürte, wie Scott an ihm vorbei und in ihre eigene Garderobe ging.
    »Es gibt Gerüchte, dass wir umziehen.« Kirbys Stimme war immer heiser. Solange er dreißig Zigaretten am Tag rauchte, würde sich daran wohl auch nichts ändern. »Ich habe gehört, dass wir aus Reno verschwinden. Weißt du was darüber?«
    »Ich hab nichts gehört«, entgegnete Jamie.
    »Frag doch mal deinen Onkel Don. Uns sagt er ja nie was!« Am liebsten hätte Jamie geantwortet, dass Don White auch
    ihm nie etwas sagte, aber stattdessen zuckte er nur die Schultern und verschwand im angrenzenden Zimmer.
    Scott lag auf dem schmalen Bett mit der schmutzigen Matratze und der gestreiften Decke. Auch hier gab es einen Tisch und zwei Stühle. Die Zimmer waren alle gleich: quadratisch und mit einem Fenster, das den Blick auf den Parkplatz und das Motel auf der anderen Seite freigab. In jedem Zimmer befanden sich außerdem ein Waschbecken und ein von Glühlampen umrahmter Spiegel. In manchen der Zimmer funktionierten sie sogar. Jamie betrachtete seinen Bruder, der an die Decke starrte. Auf dem Tisch lagen ein paar alte Comics, daneben stand eine halb volle Flasche Cola. Das war alles. Die beiden taten zwischen den Shows nie etwas. Manchmal redeten sie, aber in letzter Zeit hatte Jamie den Eindruck, als würde Scott sich mehr und mehr in sich selbst zurückziehen.
    »Frank sagt, dass wir umziehen«, berichtete
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