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Schattenlord 6 - Der gläserne Turm

Schattenlord 6 - Der gläserne Turm

Titel: Schattenlord 6 - Der gläserne Turm
Autoren: Claudia Kern
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Gleichgewicht wiederzufinden.
    »Alles in Ordnung?«, fragte Milt.
    Laura nickte. »Mir ist nur schwindelig.«
    »Wir können uns Zeit lassen. Die Krii im Gang können uns nicht mehr sehen, und hinter uns ist niemand.«
    Nidi tauchte unter seiner Jacke auf wie ein Ertrinkender aus tiefem Wasser und sprang auf die Treppe. Er schüttelte sich. »Ich gehe vor«, rief er hörbar aufgekratzt. Auch Laura wurde aufgeregt. Wie eine heiße Kugel lag das Gefühl in ihrem Magen. Nach all den Prüfungen und Hindernissen standen sie kurz vor ihrem Ziel.
    Das Stimmengewirr im Gang unter ihnen wurde leiser, je höher sie kamen, und die Melodie der Stadt lauter. Dann endete die Wendeltreppe, und Laura betrat einen aus dunklem Glas bestehenden, runden Raum. Es gab keine Verzierungen, keine Dekoration, nichts, was darauf hinwies, dass sie sich im Herzen von Amarihye befanden.
    Es gab nur den Dolch.
    Er lag auf einer breiten Glaskonstruktion wie eine Saite auf einer Geige. Seine Klinge richtete sich auf das rechteckige Loch, das Laura bereits von unten gesehen hatte. Wie Wasser floss die Melodie dort heraus, erschaffen von dem Wind, der durch einen Spalt im Dach hereinpfiff, und über die Klinge. Es war so laut im Mundstück der Flöte, dass Laura kaum ihre eigenen Gedanken hören konnte, doch unangenehm war ihr das nicht. Die Schönheit der Melodie ließ sie die Lautstärke vergessen.
    Finn zog die Kopie des Dolches aus dem Gürtel und hielt sie neben das Original. Für Laura waren sie nicht zu unterscheiden. Länge und Breite waren identisch, nur das seltsame Gefühl, das sie beim Betrachten des Originals bekam, fehlte der Kopie. Laura versuchte, es in Worte zu fassen. Eine Sehnsucht schien von dem Dolch auszugehen, ein Drang, endlich das zu vollbringen, wofür er erschaffen worden war.
    Vielleicht bilde ich mir das auch nur ein, dachte sie zweifelnd.
    »Gute Arbeit, Nidi«, rief Finn. Trotz der Melodie konnte Laura ihn gut verstehen. »Aber jetzt kommt der harte Teil.«
    Sie wusste, was er meinte. Der Dolch stand aufrecht in der Mitte der Glaskonstruktion; er wurde von drei Einkerbungen gehalten, die es so aussehen ließen, als schwebe er. Unablässig strich der Wind über die Klinge, spielte auf ihr wie auf einem Instrument.
    Milt trat neben Laura. »Wir müssen ihn so schnell wie möglich austauschen«, sagte er. »Einer zieht das Original raus, der Zweite steckt die Kopie rein.«
    Laura nickte. »Ich nehme das Original. Auf drei?«
    »Moment.« Finn klemmte die Kopie zwischen seine Knie und schüttelte seine Arme aus wie ein Sportler vor einem Wettkampf. »Auf drei«, sagte er dann.
    Milt ging zur Treppe, Nidi hockte sich auf das Geländer. Sie waren fluchtbereit.
    »In Indiana Jones hat das übrigens nicht geklappt«, sagte Finn, während er die Kopie positionierte. Lauras Finger schwebten über dem Original, bereit, es aus den Einkerbungen zu reißen.
    »In Mission Impossible schon«, sagte sie.
    »Echt? Ich dachte ...«
    Laura ließ ihn nicht ausreden. »Drei.«
    »Zwei.«
    Finn fuhr sich mit der Zunge über die Lippen.
    »Eins.«
    Laura spannte sich an. »Jetzt!«
    Sie riss die Klinge aus den Einkerbungen, sprang instinktiv zur Seite, während Finn bereits handelte. Nur einen Lidschlag später steckte die Kopie in der Glaskonstruktion.
    Laura lauschte auf die Melodie. Sie klang unverändert.
    Es hat funktioniert.
    Ihr gegenüber grinste Finn, verzog dann jedoch plötzlich das Gesicht, als eine schrille Dissonanz die Luft wie ein Messer zerschnitt. Die Kopie des Dolchs begann zu vibrieren. Die Dissonanzen wurden lauter, wütender, fegten die Melodie hinweg.
    »Raus hier!«, schrie Milt. Nidi presste sich die Hände auf die Ohren.
    Laura rannte los. Hinter ihr zersprang die Kopie. Goldsplitter bohrten sich in die Glaswände. Nidi sprang auf einen der Splitter zu, aber Laura packte ihn mit der freien Hand am Nackenfell und zog ihn hinter sich her.
    »Komm!«
    Die Dissonanzen hatten die Melodie ausgelöscht. Immer lauter und schriller wurden sie, ein wildes Crescendo aus Tönen, die in den Ohren schmerzten und im Magen dröhnten. Laura stolperte hinter Finn und Milt die Treppe hinunter. Bei jedem Schritt war es so, als träte sie ins Nichts. Die gläsernen Stufen knirschten und knackten unter ihr wie dünnes Eis. Risse tauchten in den Wänden auf, die Luft selbst vibrierte.
    Oh nein, dachte Laura entsetzt. Wenn die Stufen platzen ...
    Der Gang zum Thronsaal tauchte unter ihr auf. Schreie mischten sich in die schrillen Töne und
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