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Schattenkind: Kriminalroman (Yngvar Stubø-Reihe) (German Edition)

Schattenkind: Kriminalroman (Yngvar Stubø-Reihe) (German Edition)

Titel: Schattenkind: Kriminalroman (Yngvar Stubø-Reihe) (German Edition)
Autoren: Anne Holt
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Kindes. Den Vater heute zu vernehmen, in aller Ruhe und weit weg von ihr, war ihm zuerst als gute Idee erschienen.
    In der Schule hatte er gelernt, dass alle Außenstehenden unsicher wurden, wenn sie nur die Schwelle der Polizei überschritten. Für ihn war dies ein Heimspiel, auf dem Gelände der Polizei, und eigentlich hätte er die Oberhand haben müssen. Aber es kam ihm nicht so vor, vermutlich, weil er noch nie einen Fuß in dieses geliehene Büro gesetzt hatte, und nun saß er hier und sollte als professioneller Polizist auftreten.
    Aber er musste ja auch gar nicht die Oberhand haben. Trotz allem war das hier nur ein bedauernswerter Vater, der auf der anderen Seite des Schreibtisches saß, mitgenommen und verheult. Henrik Holme würde diese Sache so ordentlich und schonend wie möglich hinter sich bringen, demnächst dann den Obduktionsbericht beilegen und am Ende irgendeinen Juristen dazu bringen, den Fall als das abzuschließen, was er war: kein strafbarer Sachverhalt.
    Henrik Holme wollte sich nicht mit einem Familienunfall befassen.
    Er wollte bei der Katastrophe dabei sein.
    »Na gut«, sagte er noch einmal und versuchte, Jons Blick einzufangen. »Zuerst die Personalien, und dann gehen wir Schritt für Schritt vor. Jon Mohr, ist das Ihr vollständiger Name?«
    Der Mann im Besuchersessel nickte knapp. Leise teilte er Geburtsdatum und Adresse mit.
    »Beruf?«, fragte Henrik Holme.
    Jon Mohr ließ endlich die Armlehnen los und legte beide Hände in den Schoß.
    »Geschäftsführer und Teilhaber bei der Mohr und Westberg AG.«
    »Und das ist?«
    »Ein Kommunikationshaus.«
    »Also ein PR-Büro.«
    »Nein. Ein Kommunikationshaus. Wir helfen Organisationen, Institutionen und Einzelpersonen beim strategischen Umgang mit jeder Art Kommunikation. Vor allem im Umgang mit Behörden. Aber auch mit Medien, ja.«
    Es klang mechanisch, als ob er einen auswendig gelernten Spruch herunterleierte.
    »Sieh an«, sagte Henrik Holme und ließ die Hände neben der Tastatur ruhen. »Mit anderen Worten, ein PR-Büro.«
    »Nein.«
    »Und der Verstorbene heißt ... der vollständige Name des Jungen ist Sander Sebastian Krogh Mohr, ist das korrekt?«
    »Wir nennen ihn nur Sander, Sander Mohr.«
    »Geboren am 17. Mai 2003, stimmt das?«
    »Ja.«
    Henrik Holme deutete ein Lächeln an.
    »Geburtstag am Nationalfeiertag. Wie langweilig.«
    Jon Mohr starrte noch immer die Wand hinter dem Polizisten an. Seine Augen wurden wieder feucht, und er ließ keinen Laut hören.
    »Also«, sagte Henrik Holme und räusperte sich. »Dann wäre es schön, wenn Sie erzählen könnten, was geschehen ist. Mit Ihren eigenen Worten.«
    Er hob auffordernd die Augenbrauen.
    »Wo soll ich anfangen?«, fragte Jon Mohr kaum hörbar.
    »Wo Sie anfangen sollen?«
    Der Polizist biss sich auf die Unterlippe und errötete. Jon Mohr sah ihm endlich ins Gesicht. Der Polizist schluckte.
    »Sie haben das noch nie gemacht«, sagte Jon Mohr.
    »Was gemacht?«
    »Das hier«, sagte Jon. »Eine Zeugenvernehmung durchgeführt.«
    »Natürlich hab ich das schon gemacht«, sagte Henrik Holme, während sich die Röte von seinen Wangen über den Hals ausbreitete. »Schon sehr oft.«
    »Mag sein. Aber nie bei einem Todesfall.«
    »Das stimmt zwar, aber ...«
    »Sander hatte ADHS«, sagte Jon laut. »Vor allem hyperaktiv und impulsiv.«
    »Aha.«
    Die Finger des Polizisten eilten über die Tastatur.
    »Er war außerdem ein sehr großer, kräftiger Junge, wie Sie gesehen haben. Stark, mit großem Aktionsradius. Es war eine dauernde Herausforderung. Er ist nicht immer ... Sander hat nicht immer gut auf sich aufgepasst. Das mussten wir übernehmen. Die ganze Zeit. Aufpassen. Aufpassen.«
    Seine Worte wurden zu einem Flüstern.
    »Aha.«
    Ein gleichmäßiges Brummen von einem Fernseher oder vielleicht einem Radio war aus dem Nachbarzimmer zu hören, laut genug, um zu stören, zu leise, als dass man etwas hätte verstehen können. Henrik Holme überlegte, ob er hinübergehen und die Kollegen bitten sollte, was immer sie sich da anhörten, leiser zu stellen.
    »Sander musste Medikamente nehmen«, sagte Jon Mohr laut, ehe der Polizist sich entschieden hatte. »Ritalin. Das hat ein wenig geholfen. Aber ab und zu hat er sich gedrückt. Wollte es nicht nehmen. Hat uns reingelegt. Hat die Tabletten unter der Zunge versteckt und dann ausgespuckt. Wir fanden diese kleinen Pillen immer an Stellen, wo ...«
    Er holte keuchend Atem und versuchte, ein Schluchzen zu unterdrücken.
    »Ich
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