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Schattenfluegel

Schattenfluegel

Titel: Schattenfluegel
Autoren: Kathrin Lange
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doch witzig!« Seine Worte schrillten in Kims Ohren.
    »Deine Form von Humor war schon immer ziemlich pervers, mein Lieber!«, sagte eine tiefe Stimme hinter Kim.
    Jonas ließ die Hand mit der Libelle sinken. »Herr Schröder!« Das Grinsen entglitt ihm.
    Kim wandte sich um. Vor ihr stand ihr Biolehrer. In seine Stirn hatte sich eine steile Falte gegraben und seine grauen Augen sprühten vor Zorn, als er jetzt den Blick direkt auf Jonas heftete.
    Der legte rasch die Libelle auf den Tisch, wobei einer ihrer Flügel abbrach.
    »Mir ist schon länger klar, dass außer Problemen von dir nicht viel zu erwarten ist«, sagte Schröder kühl. »Aber so eine geschmacklose Gemeinheit hätte ich nicht einmal dir zugetraut! Ist mit dir alles in Ordnung, Kim?«
    Kim nickte mechanisch, auch wenn ihr eigentlich nur noch nach Heulen zumute war.
    Forschend sah Schröder ihr in die Augen, schien aber zufrieden mit dem, was er sah, und konzentrierte sich wieder auf Jonas. »Ich denke, es ist an der Zeit, ernsthaft über einen Schulverweis nachzudenken. Bei dir hat sich in letzter Zeit ganz schön was angehäuft, mein Lieber. Komm mit!« Seine Worte duldeten keinerlei Widerspruch. Er nahm die Libelle an sich, machte auf dem Absatz kehrt und marschierte in Richtung Schulleiterbüro davon, ohne sich zu vergewissern, ob Jonas ihm folgte. Der trottete mit hängendem Kopf hinter ihm her. Kurz bevor er um eine Ecke verschwand, schoss er jedoch einen letzten bösen Blick in Kims Richtung.
    »Und Tschüss!«, hörte Kim Lukas sagen.
    Sie warf ihm einen Seitenblick zu. Jetzt hatte er sich wieder zurückgelehnt.
    »Danke für deine großartige Unterstützung«, ätzte sie. Ihr war immer noch schlecht. Kurz zuckte ihr Blick zu dem Libellenflügel, der auf dem Tisch zurückgeblieben war. Jede einzelne Ader des durchsichtigen Gebildes schien sich wie ein Laserstrahl in ihre Netzhaut brennen zu wollen.
    Schwer atmend ließ Kim sich auf die Bank fallen.
    Lukas beugte sich vor und nahm schweigend den Flügel an sich. Er musterte ihn kurz, bevor er ihn in seiner Jeansjacke verschwinden ließ. Seine Stimme klang ganz ruhig, als er sagte: »Aus der Situation musstest du allein rauskommen, sonst wären die Albträume noch schlimmer geworden.«
    Woher wusste er, dass sie Albträume hatte?
    »Wer bist du, Sigmund Freud persönlich oder was?«, fauchte sie.
    »Ich beschäftige mich ein bisschen mit Psychologie, ja. Wieso?«
    Kim wusste nicht, ob sie Lukas für seine Überlegungen bewundern oder ihn für seine scheinbare Arroganz verachten sollte. Sie entschied sich für Letzteres. »Tja«, sagte sie schnippisch. Ihr war bewusst, dass sich ihre gesamte Angst und Wut jetzt gegen ihn richtete, obwohl er an der Situation völlig unschuldig war. »Irgendwie blöd, dass Schröder deinen klugen Psychoplan durchkreuzt hat.«
    Seine Mundwinkel zuckten leicht, als er aufstand. »Bist du in Ordnung?«, fragte er.
    Kim verdrehte die Augen. »Klar!«, gab sie gereizt zurück.
    *
    Die Polizei hatte Ninas Tagebuch einem Psychologen vorgelegt, in der Hoffnung, dass der etwas herauslesen konnte, das ihnen bei der Suche nach Ninas Mörder weiterhelfen würde. Kim hatte den Namen dieses Psychologen vergessen, aber sie erinnerte sich noch gut an das Gespräch mit ihm. Ihre Mutter und Frau Keller waren auch dabei gewesen.
    Drei Tage nachdem man Ninas Leiche gefunden hatte, war das gewesen.
    »Meiner Erkenntnis nach«, hatte der Psychologe mit wichtiger Stimme verkündet, »deutet alles darauf hin, dass das Opfer kurz vor seinem Tod jemanden kennengelernt und sich in ihn verliebt hat.« Er hatte tatsächlich »das Opfer« gesagt und Kim zuckte bei dieser Bezeichnung heftig zusammen.
    »Sie ist … war meine Schwester«, murmelte sie. Ihre Augen brannten. Genauso wie ihr Herz. Das fühlte sich so an, als hätte jemand ein Stück herausgerissen.
    Der Psychologe sah sie an. Er hatte Brillengläser, die so dick waren wie Glasbausteine. Und dahinter wirkten seine Augen so winzig wie die einer Maus. Trotzdem war Kim sein stechender Blick unangenehm.
    »Natürlich«, sagte er ruhig. »Entschuldige.«
    »Also ein unbekannter Freund«, fasste Frau Keller zusammen. »Und das lesen Sie allein aus diesem Gedicht?«
    Der Mann nickte. »Aus dem Gedicht, aber auch aus dem Kontext der restlichen Tagebucheinträge.«
    Kim schüttelte heftig den Kopf. »Wenn Nina einen neuen Freund gehabt hätte, hätte sie mir davon erzählt!«, behauptete sie. Sie war sich ganz sicher, dass Nina ihr das nicht
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