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Schatten des Wahns: Stachelmanns dritter Fall (German Edition)

Schatten des Wahns: Stachelmanns dritter Fall (German Edition)

Titel: Schatten des Wahns: Stachelmanns dritter Fall (German Edition)
Autoren: Christian V Ditfurth
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ich nicht zu Potte komme mit meiner Arbeit. Zäh quälte er sich Tag für Tag durch das umfangreiche Rohmanuskript, und wenn er ein Kapitel durchgearbeitet hatte, kehrten über Nacht die Zweifel zurück, ob es Bohmings Ansprüchen und vor allem den eigenen genügen würde. Banal erschien ihm, was er schrieb. Er hörte gar nicht mehr, was die Studentin berichtete, ihre Stimme war nur noch ein Hintergrundgeräusch seiner Gedanken. Zwar deutete der Lehrstuhlinhaber Professor Bohming seit Griesbachs Tod Stachelmann gegenüber immer wieder an, wie gern er ihn als Nachfolger sehen würde. Aber was nutzte es, wenn die Arbeit nicht fertig wurde? Und konnte er Bohming trauen? Vielleicht guckte er sich gerade irgendwo wieder einen neuen Favoriten aus und schmierte dem Honig ums Maul, wie er es bei Stachelmann und Griesbach auch getan hatte. Hausberufung? Kein Problem, du gehst für eine Zeit an eine andere Uni, das deichsle ich. Und dann rufen wir dich zurück. Setzen dich auf Platz eins der Bewerberliste, da wird nichts schief gehen. Wenn ich etwas organisiere, klappt das auch. Wäre doch gelacht.
    Da merkte Stachelmann, es war still geworden. Die Augen waren auf ihn gerichtet, das Referat beendet. Er hustete, um die Peinlichkeit zu überspielen. »Ja, vielen Dank. Ein gutes Referat. Gibt es Wortmeldungen?«
    Mehr nebenbei erteilte er diesem und jenem das Wort. Er mühte sich zuzuhören, aber die Diskussion rauschte großteils vorbei an ihm. Er war froh, als das Seminar beendet war. Er blieb sitzen, bis der letzte Teilnehmer gegangen war. Der Schmerz kroch vom Gesäß nach oben, zwischen die Schultern. Stachelmann versuchte ihn zu verdrängen. Er dachte an Ossi und daran, dass der vielleicht Recht gehabt hatte. Warum die Qual, die Angst, der Druck? Er fühlte sich alt und müde.
    Zurück im Dienstzimmer rief er Anne an. Sie nahm nicht ab, er sprach auf den Anrufbeantworter, dass er für einige Zeit nach Hause fahre. Er müsse Ossis Akte lesen.
    Sie wird sich jetzt fragen, warum ich das nicht bei ihr tue. Aber sagen wird sie es mir nicht, ich würde die Frage nur in ihren Augen lesen. Er packte Ossis Akte in seine Tasche, dann ging er zum Dammtorbahnhof. Nieselregen hatte eingesetzt, eine Brise trieb ihm Tropfen ins Gesicht. Er spürte sie kaum.
    Im Hauptbahnhof stieg er um in die Regionalbahn nach Lübeck. Die erste Klasse war gut besetzt, sein Lieblingsplatz am Tisch belegt. Er setzte sich in die letzte Reihe ans Fenster. Der Zug fuhr an, der Lärm des Bahnhofs blieb zurück. Dann schloss er die Augen. Der Gleisrhythmus ergriff ihn. Er sah Pete Townshend mit dem Windmühlenarm die Gitarre schlagen, während er sprang und die Beine spreizte. John Entwhistle ließ im Knochenmannanzug den Bass krachen und trank aus dem Becher, der am Mikrophonständer hing und keine Honigmilch enthielt. Keith Moon schlug mit wenigstens drei Händen auf Snaredrum und Tomtoms, die doppelten Bassdrums trieben den Rhythmus voran, während Roger Daltrey ins Mikrophon schreistotterte: Things they do look awful c-c-cold / I hope I die before I get old. / Talkin' 'bout my generation.
    * * *
    2. Mai 1978
    Wir werden sie noch erleben, die Revolution. Gestern haben mehr an der Demo teilgenommen als letztes Jahr. Unter roten Fahnen, hier und da waren auch schwarze. Die Sozis und die Gewerkschaftsbonzen haben ganz schön blöd geguckt. Die hatten noch den Suff im Kopf vom Tanz in den Mai und schleppten ihre fetten Bäuche.
    Heute gibt es in der Rhein-Neckar-Zeitung einen langen Artikel über die Hinrichtung. Sie haben keine Spur, nur Spekulationen. Bandenmord, Nazis, Eifersucht. Vielleicht hätten wir einen Bekennerbrief hinterlassen sollen. Als Warnung für alle Verräter. Ich werde es vorschlagen. Wenn die Hinrichtung des Schweins, der für die Faschisten gespitzelt hat, eine revolutionäre Tat war, dann müssen wir damit offensiv umgehen. Auch wenn das Risiko wächst, dass sie uns kriegen.
    Ach ja, auf der Demo habe ich Angelika getroffen. Sie hat sich sogar eine Weile bei mir eingehakt. Aber nicht nur bei mir. Ich hätte mich gern mit ihr verabredet. Aber ich hab mich nicht getraut, sie zu fragen.

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    4
    Der Anrufbeantworter blinkte, sieben Nachrichten warteten darauf, abgehört zu werden. Er drückte auf den Wiedergabeknopf. Zuerst seine Mutter, die mit einem Vorwurf im Unterton erklärte, er habe sie lange nicht mehr besucht. Nun habe sie in Vaters Nachlass Dinge gefunden, die ihn vielleicht interessierten. Gleich meldete sich das schlechte
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