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Schafkopf

Schafkopf

Titel: Schafkopf
Autoren: Andreas Föhr
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die Nase hoch.
    Im gelben Schein der Vierzig-Watt-Birne konnte man sehen, dass die Nase geschwollen und mit einem weißen Pflaster überklebt war. Ebenso geschwollen war das linke Auge der jungen Frau. Susi reichte Kathrin ein Papiertaschentuch. Aber Kathrin wehrte ab. Sie konnte sich mit der gebrochenen Nase nicht schneuzen. Stattdessen zog sie den Rotz noch einmal hoch und spuckte das, was im Mund ankam, auf die Stufe vor dem Hintereingang. Es war rot. Susi hielt Kathrin eine Zigarette hin.
    »Das wird schon wieder.« Susi lächelte. Es war aufmunternd gemeint, wirkte aber verzweifelt. Kathrin steckte sich die Zigarette zwischen die aufgeplatzten Lippen, ließ sich von Susi Feuer geben und inhalierte gierig. Den Rauch blies sie nach oben zu der ramponierten schmiedeeisernen Laterne und scheuchte die Motten für einen Augenblick vom Licht. Kathrin schüttelte den Kopf und wischte sich mit der freien Hand eine Träne aus dem Auge. »Der bringt mich um. Eines Tages bringt er mich um«, sagte sie. »Ich will nimmer.«
    Der letzte Satz erschreckte Susi. »Was meinst’n damit – du willst nimmer?«
    »Ich … ich halt das nimmer aus. Es muss Schluss sein damit. Verstehst? Schluss. Endgültig.«
    Susis Unruhe wurde stärker. »Willst den Stani verlassen?«
    »Spinnst du?« Fassungslos versuchte Kathrin zu lachen, aber die Naht an der Nase und ihr geschwollenes Auge taten dabei weh. »Was glaubst, dass der mit mir macht, wenn ich ihn zum Teufel hau?«
    Susi betrachtete Kathrin mit wachsender Sorge. Was hatte ihre Freundin im Sinn? Es musste etwas so Radikales sein, dass sich Susi nicht einmal vorstellen konnte, was es sein mochte. Mit Stani Schluss zu machen war ganz sicher keine Lösung – wo er Kathrin schon jetzt so zurichtete. Was würde er ihr antun, wenn sie ihn verließ? Stani hing an Kathrin wie an nichts anderem auf der Welt. Susi biss auf ihre Unterlippe und traute sich nicht, die Frage zu stellen, die so nahelag.
    Im Halbdunkel an die Hauswand gelehnt stand Kathrins Fahrrad. Erst jetzt bemerkte Susi, dass neben dem Rad eine Reisetasche stand – prall gefüllt. »Du gehst weg?«
    »Ja. Ich hau ab.« Kathrin nickte und sah in die Nacht hinaus.
    »Wohin denn?«
    »Berlin, London, Ibiza. Keine Ahnung. Nur weit weg, wo der Stani mich net findet.«
    »Aber man kann net einfach … nach Berlin oder Ibiza gehen. Wie stellst dir das vor?«
    »Es wird schon irgendwie gehen.«
    Susi schüttelte ungläubig den Kopf. »Ich tät sterben vor Heimweh. Ich mein – es ist ja kein Urlaub.«
    »Was tätst denn vermissen? Deinen Vater? Oder deine depperten Brüder?«
    Susi zuckte mit den Schultern. »Den Peter.«
    »Dass er dich jede Woch grün und blau schlagt? Dass du dich gar nix mehr sagen traust, aus Angst, du fangst dir eine? Das tätst net vermissen. Glaub’s mir.«
    Susi zuckte noch einmal mit den Schultern und starrte vor sich hin. Dabei verfing sich ihr Blick an Kathrins Unterarm, der ein Stück aus ihrer Lederjacke ragte. Er war blau von Blutergüssen. Kathrin hatte versucht, die Schläge abzuwehren.
    »Dich tät ich vermissen«, sagte Susi leise.
    Kathrin sagte nichts darauf. Sie schwiegen eine Weile, und Kathrin blies Rauch in die gelbe Nacht.
    »Ihr müsst ein bissl aufeinander zugehen. Dann geht das schon. Du liebst ihn doch.«
    »Nein. Wer so was tut, den kannst du nicht lieben.« Etwas in Kathrin revoltierte plötzlich. »Schau mich an, was er mit mir gemacht hat!«, schrie sie auf Susi ein. »Siehst des net?!«
    Susi schossen die Tränen in die Augen. »Ich weiß, aber …« Sie fing an zu weinen. Kathrin nahm ihre Hand, drückte sie. Susi blickte zu Boden. Endlose Sekunden, ohne etwas zu sagen. Sie schien nicht einmal zu atmen. Nur ein leichtes Zucken ging durch ihren Oberkörper. Als sie wieder zu Kathrin aufsah, war deren Gesicht verzerrt von Schmerz und Wut. Susis Kinn zitterte, ihre Wangen waren nass. »Lass mich hier net allein«, flüsterte sie.
    Kathrin nahm die Freundin in den Arm und drückte sie. Außer Kathrin hatte Susi niemanden, dem sie sich anvertrauen konnte. Susis Vater und ihre Brüder sahen weg, wenn Peter sie verprügelte. Sie hatten Angst. Wenn Peter zuschlug, brachen Knochen. Er hatte übermenschliche Kräfte.
    Vor nicht langer Zeit war Peter noch Susis Märchenprinz gewesen. Der Ritter, der sie aus ihrem Familiengefängnis befreit hatte. Zu dieser Zeit waren auch Kathrin und Stani zusammengekommen. Ein paar Monate lang waren sie zwei Traumpaare gewesen, hatten Händchen gehalten
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