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Schädelrose

Schädelrose

Titel: Schädelrose
Autoren: Nancy Kress
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gelernt, mit Ihren Erinnerungen umzugehen, Sie haben das
Problem von Robbie Brekke gelöst, und nun glauben Sie, das
Private sei das einzige, was zählt. Das Private ist gar
nichts.«
    »Ich akzeptiere das nicht mehr«, sagte Joe, und
Caroline fiel seine Formulierung auf.
    »Doch, das tun Sie«, erwiderte Shahid.
»Undeutlich, aber doch, Sie akzeptieren, daß das
Private nebensächlich ist, sonst würden Sie Ihre
Energie nicht für den Kampf gegen die Gaisten einsetzen, um
die Ökologie des Planeten zu retten. Aber auch das ist
nebensächlich. Es ist in Wahrheit nicht die Schlacht, in der
Sie kämpfen. Diese Schlacht ist größer, so viel
größer, und Sie wollen nicht einmal hinsehen. Aber
Sie, Joe McLaren, werden keine Wahl haben.«
    »Dummes Zeug«, sagte Joe erneut.
    »Sie und Robbie Brekke. Ihr seid so tiefgreifend
miteinander verbunden. Und Robbie war das erste Opfer. Das erste.
Ein Rufer in der Wüste, der den Weg wies…«
    Joe lachte. »Robbie Brekke als Johannes der Täufer? Brekke? Also wirklich, Shahid, nun zügeln Sie mal
Ihre überhitzte katholische Phantasie.«
    »Ich bin aus der Kirche ausgetreten.«
    Caroline sog scharf die Luft ein. Shahid legte beide
Hände flach auf den Tisch, die Handflächen nach unten.
Sein Blick war immer noch auf Joe gerichtet. »Vor drei
Wochen bin ich ins Institut zur Operativen Erschließung
Früherer Leben in Boston gegangen. Ich bin dieses Wochenende
nur deshalb in New York, um es Caroline zu erzählen. Ich
hatte nicht damit gerechnet, Sie mit ihr zusammen anzutreffen;
ich hatte nicht die Absicht, Sie von mir aus aufzusuchen, bevor
ich nicht im Institut fertig bin. Ich wollte es erst tun, wenn
ich Ihnen bei Ihrem Kampf von Nutzen sein kann.«
    »Bedienung!« rief Joe. »Zahlen!«
    »Patrick«, sagte Caroline, »Sie haben nicht
einmal Zeit gehabt, mit Ihren Erinnerungen umgehen zu lernen.
Gerade Sie müßten doch wissen, daß Sie noch
nicht hier sein dürften, Sie brauchen noch mehr
Zeit…« Sie hielt inne. Shahid schaute auf seine
ausgebreiteten Hände hinab. Sie konnte seine Augen nicht
sehen.
    Schließlich blickte er auf. »Ich habe bisher noch
keine Erinnerungen gehabt. Aber das ist nicht wichtig. Joe, Sie
sind derjenige, der auf seine Erinnerungen hören muß.
Und auf mich. Ich weiß, Sie haben von Ihrem Freund Pirelli
bereits eine ganze Menge darüber erfahren. Ja, ich habe
Nachforschungen über ihn angestellt. Ich habe
Nachforschungen über alles mögliche angestellt. Sowas
lernen wir Jesuiten.
    Das Menschheitsgedächtnis entwickelt sich. Es entwickelt
sich dahin, das zu tun, was die Gaia der Biosphäre bereits
tut: das Leben auf dem Planeten zu schützen. Gaia
manipuliert ein Meeresriff hier, den Methanausstoß dort
– warum? Damit die Erde für das Leben geeignet bleibt.
Sie benutzt alles, was es gibt, um Unausgewogenheiten in der
Biosphäre zu korrigieren, damit sich Leben entwickeln kann.
Und genauso – genauso – manipuliert das
Übergedächtnis Menschen, sich der
Reinkarnationsoperation zu unterziehen. Robbie Brekke hier, Joe
McLaren dort – Leute, die sich aus eigenem Antrieb niemals
für eine solche Operation entscheiden würden. Warum? Um
ihr eigenes Leben, ihre eigene Evolution zu schützen, die
von einer weltweiten Erinnerungsseuche und einer sinkenden
Geburtenrate bedroht sind. Um Unausgewogenheiten zu korrigieren.
Um für das Überleben ihres Teils des Lebens auf dem
Planeten zu kämpfen.
    Verstehen Sie? Gaia und das Übergedächtnis zusammen
kämpfen darum, die Menschheit zu retten, indem sie sie zu
etwas Besserem transformieren. Um uns zu retten, ohne
daß wir es wollen. Um uns zu erlösen.«
    »O nein, Patrick«, sagte Caroline, »Sie
glauben doch nicht, daß Gaia und das
Übergedächtnis…«
    »Wenn ihr Ziel Rettung und Erlösung ist, wie soll
man sie dann anders nennen als Gott?«
    Joe sagte sanfter, als Caroline erwartet hätte:
»Warum nicht Evolution? Wozu sie in ein vorgefertigtes,
irrationales Konstrukt zwängen? Tut mir leid, Shahid, aber
das interessiert mich einfach nicht.« Er stand in dem engen
Raum zwischen dem Tisch und den Samtvorhängen auf. Shahid
ließ Carolines Hand los, griff nach Joes Handgelenk und
schlang seine Finger darum. Joe schaute ausdruckslos auf das
Handgelenk hinunter. In Carolines Augen sahen Shahids Finger
klein und dünn aus.
    »Die Gaisten stellen sich gegen die Evolution
selbst«, sagte Shahid leise. »Die meisten von ihnen
wissen es
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